Sie reden vom Netz wie Blinde vom Licht

Archiv für Juni, 2013

Kostenloskultur

Angesichts rückläufiger Printauflagen und damit fehlender Einnahmen sagen immer mehr Medienkonzerne der Kostenlos-Kultur im Netz den Kampf an

Reuters Deutschland — Axel Springer zufrieden mit Internet-Bezahlangeboten

Kurzkommentar

Mit Verlaub, ihr da bei der fürs Reinkleben in die Presseprodukte schreibenden Massenstanze Reuters: Wenn Leute freiwillig über ein Jahrzehnt lang Dinge vollkommen kostenlos anbieten (und in dieser ganzen Zeit kein seriöseres Geschäftsmodell finden als die Vergällung dieser Dinge mit einer von den Empfängern im Regelfall völlig unerwünschten und übertrieben aufdringlichen Reklame), um dann der von ihnen selbst geschaffenen „Kostenloskultur“ den Kampf anzusagen, klingt das ziemlich… ja… dumm. Und genau dieser gnadenlos dumme und auch für Menschen geringerer kognitiver Leistungsfähigkeit kinderleicht zu durchschauende Propagandaton, der sich so häufig dort findet, wo „Qualitätsjournalismus“ postuliert wird, der wird das Grab für das Presseverlagswesen noch ein bisschen schneller schaufeln.

Nachtrag 20:10 Uhr: Die gegenwärtig vom Springer-Verlag in die Agenturen gedrückten Paid-Content-Erfolgsmeldungen haben übrigens schon zu einer hübschen kleinen Realsatire bei der hausinternen Wiederverwendung geführt. Ein leckeres Stück qualitätsjournalistischer Junkfood, Geschmack „quietschig“, mit einem gescheiterten Propaganda-Sahnehäubchen obendrauf.


Der ganzen Welt zugänglich machen…

Aus der Warte der restlichen Welt ist etwas ganz anderes ein Skandal – mit historischen Dimensionen sogar. Viele sind ob Snowdens Enthüllungen geschockt. Zeigen sie doch, wie dreist und ohne Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte sich offenbar amerikanische und britische Dienste Einblicke in sehr Persönliches verschaffen […]

Insofern hat Angela Merkels etwas missverständliche Aussage, das Internet sei für uns Neuland, durchaus Sinn. Denn die meisten Nutzer haben noch immer nicht begriffen, was sie anrichten, wenn sie hemmungslos sehr private Nachrichten und Fotos der gesamten Welt zugänglich machen

WZ Newsline — Kommentar: Das Internet hat seine Unschuld verloren, von Martin Vogler

Kommentar

Ja, hier zeigt ein demnächst vom Leistungsschutzrecht geschüzter „Qualitätsjournalist“ in seinem Versuch, eine gleichermaßen dumme wie entlarvende Aussage von Angela Merkel — die übrigens mit dem Wort vom „Neuland“ jene Bedrohungen an die Wand malen wollte, die grenzenlose staatliche Überwachungsabsichten begründen sollen — zu „retten“, wie er den scheinbar behandelten Gegenstand vollumfänglich ignoriert. Jemand, der jemanden anders eine Mail schreibt, mit jemanden anders chattet oder ein IP-Telefonat mit jemanden anders führt, tut dies nicht, um „sehr private Nachrichten und Fotos der gesamten Welt zugänglich zu machen“.

Was die Menschen begreifen müssten, wenn sie jedes Mitlesen durch Dritte unmöglich machen wollen, ist übrigens die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung möglichst jeder Kommunikation. Aber genau davon gibt es kein Wort und deshalb natürlich auch keinen Verweis auf eine kleine Anleitung. Stattdessen wird den Menschen, die naiv glauben, dass Mails eine private Form der Kommunikation sind, auch noch mehr als nur ein bisschen unterschwellig die Schuld für ihre systematische Überwachung im geradezu orwellschen Maßstab zugeschoben. Mit einer solchen Auffassung und hirnfickend-propagandistischen Schreibe, wie sie hier ein gewisser Martin Vogler in einem Leitartikel von sich gibt, hätte man auch in der DDR etwas werden können…

Wer sich so merkeltragend manipulieren lassen will, lese weiterhin die WZ! Wer das als Verachtung empfindet, hat zum Glück Alternativen.


Neuland

Am 6. August 1991, also vor rund 22 Jahren, veröffentlichte Tim Berners-Lee seinen Entwurf des World Wide Web im Usenet (Focus Online berichtete) und hat auf diese Weise einen weiteren, heute sehr populären Dienst im Internet begründet. Die Internet-Dienste Usenet, E-Mail, Telnet, Gopher, FTP und diverse andere existerten damals bereits seit Jahren. Das World Wide Web wurde für viele Menschen nach der Veröffentlichung des Webbrowsers Mosaic Netscape 0.95 beta im Oktober des Jahres 1994 immer mehr zum „eigentlichen Internet“ und ist heute für die Mehrzahl der Menschen ein ganz gewöhnlicher Bestandteil ihres Alltags.

Am 19. Juni 2013, also gut sieben komplette Erdzeitalter der Computertechnik später, gab Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, anlässlich des Besuchs des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama, auf dem Hintergrund einer von den USA betriebenen, nahezu allumfassenden Überwachung der weltweiten Internetnutzung und Telekommunikation den folgenden Witz zum Besten:

Das Internet ist für uns alle Neuland

Was haben wir alle gelacht! Fast so, wie bei diesem „Ich liebe doch alle„, das ebenfalls von einem Menschen mit deutlichen Realitätsverlusten ausgesprochen wurde… :mrgreen:

Quelle des Screenshots: Internet


Helfer, die von der Adresszeile in den Twitterclient kopieren…

Ich mach das ja selber… ich mach das bis heute selber und es gibt niemanden, der für mich twittert, ich hab lediglich hier einige Kollegen im Haus, die mich ab und zu auf ein Thema hinweisen, mir einen Link machen… das kann ich bis heute noch nicht, aber alles andere mache ich…

Steffen Andreas Seibert, Regierungssprecher und früherer Journalist beim ZDF, im Interview

Oh, was platscht denn da ins Aquarium? Wie hübsch, ein frischer Blindfisch.


Schaffen

Wenn Washington die Marktmacht amerikanischer Unternehmen in der Internet-Branche missbraucht, dann müssen wir angemessene Alternativen schaffen

Dieter Wiefelspütz, SPD, Abgeordneter des Deutschen Bundestages

Kommentar

So hört sich ein schnell im Wahlkampf herausgelassenes politisches Blubberbläschen zu einem aktuell in den Medien präsenten Thema mit gehörigem Empörungspotenzial an, das in spätestens drei Monaten wieder vollständig vergessen ist — und dann gehts weiter wie gehabt, übrigens auch mit Vorratsdatenspeicherung für alle und staatlich erstellter Schadsoftware auf den persönlich genutzten Computern von Menschen, gegen die ermittelt wird.

Aber nehme ich diese Aussage eines bedeutenden zeitgenössischen Innenpolitikers aus Deutschland einmal ernst, auch wenn sie das nicht verdient.

Gehe ich ferner einmal davon aus, dass Herr Wiefelspütz nicht ernsthaft die Absicht hat, die Politik zu verlassen und eine Unternehmung aufzubauen, die attraktive Internet-Dienste anbietet. Was will der werte Herr Wiefelspütz von der SPD denn stattdessen tun, um angemessene Alternativen zu schaffen? Als Politiker? Er scheint genau zu wissen und dieses Wissen notdürftig im gummibandigen Worte „wir“ zu verstecken, wie es wirklich aussieht. Seine Aufgabe ist nicht das „Schaffen“. Er kann — zusammen mit seinen Kollegen im Parlament — nur eines tun, er kann als Mitgesetzgeber „nur“ einen rechtlichen Rahmen setzen, in dem sich die Aktivitäten anderer Menschen in Deutschland mehr oder minder entfalten können. Das ist übrigens auch seine Aufgabe, für die er Mitglied des Deutschen Bundestages ist.

Und wie sieht der in der Vergangenheit sowohl von der SPD als auch von CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen geschaffene oder trotz der davon verursachten Probleme unverändert belassene gesetzliche Rahmen für die „Internet-Branche“ (und für jeden privaten Mitgestalter des Internet im Rechtsraum der Bundesrepublik Deutschland) aus? Ist es förderlich für die „Schaffung von angemessenen Alternativen“, wenn…

Oder ist es nicht vielmehr so, dass der politisch geschaffene und offenbar auch politisch gewollte gesetzliche Rahmen das Potenzial in sich trägt, jeden Aufbruch, jedes Experiment, jede Geschäftsidee im Internet innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu ersticken? Die hier gegebene Liste ist dabei nicht einmal vollständig, es handelt sich nur um Dinge, die mir spontan einfallen, weil ich gerade meine Notizen nicht zur Hand habe.

Das, was Herr Wiefelspütz und auch seine Kollegen aus CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen „schaffen“, erwürgt jede Schaffenskraft schon an der Wurzel. Aber darin — immerhin — darin ist es sehr… Achtung, anderes Bullshit-Wort… nachhaltig.