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Greenwashing für den Internet-Explorer

Die Werber von Microsoft scheinen sich an ihre letzte kleine Image-Aktion für den Internet Explorer erinnert zu haben und führen die gezielte Irreführung von Journalisten und Anwendern weiter — und (demnächst durch ein so genanntes „Leistungsschutzrecht“ zusätzlich alimentierte) „Qualitätsournalisten“ sind sich nicht zu schade, derartige Reklame unrelativiert in den redaktionellen Teil ihrer Pressemachwerke aufzunehmen

Microsoft kennt die wahren Werte eines Browsers und lässt den TÜV vorrechnen: Würden alle Surfer in Deutschland an einem Tag nur das konzerneigene Produkt einsetzen, ließen sich mehr als 860.000 Kilowattstunden Energie sparen […] Kronzeuge für diese unerwartete Erkenntnis ist nicht die Marketingabteilung des Unternehmens, sondern der TÜV Rheinland. Die Techniktester haben demnach den Energieverbrauch der aktuellen Internetbrowser mit den größten Marktanteilen in Deutschland auf Microsofts neuem Betriebssystem Windows 8 geprüft. Das Ergebnis: Der Internet Explorer 10 verbraucht rund ein Viertel weniger Energie als Googles Chrome oder der Firefox von Mozilla

Frankfurter Allgemeine — Internet Explorer: Grüner surfen mit Microsoft

Laut TÜV Rheinland ist der Internet Explorer 10 der aktuell energieeffizienteste Browser auf Windows 8. Verglichen wurde die aktuelle IE-Version mit Firefox 16 und Chrome 22. […] Bei der Untersuchung hat TÜV Rheinland den Energieverbrauch der Browser auf unterschiedlich leistungsstarken Desktop-PCs und Notebooks verglichen. Über alle Testszenarien hinweg sei beim Internet Explorer 10 dabei der geringste Energieverbrauch gemessen worden. Gemessen wurde unter anderem der Energieverbrauch der Browser beim Aufruf von HTML5-Websites und bei der automatisierten Navigation zu den laut AGOF beliebtesten Websites in Deutschland.

PC-Welt — Windows 8: Internet Explorer 10 – TÜV hat Energieverbrauch überprüft

Kurzkommentar

Warum eine derartige „Messung“ zwar Zahlen liefert, die bei oberflächlicher Betrachtung gut für Microsofts Produkt aussehen, aber tatsächlich durch den Vergleich unvergleichbarer Dinge vollkommen nichtssagend sind, habe ich bereits im August dieses Jahres ausführlicher dargelegt und werde es deshalb hier nicht wiederholen.

Dass die allgemein gebildeten „Qualitätsjournalisten“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf diesen sehr durchschaubaren Greenwashing-Versuch hereinfallen und aus dieser Presseerklärung einen Artikel machen, der solche Behauptungen wiederkäut, überrascht mich nicht besonders — wobei die FAZ aber immerhin ein paar verhaltene Einwände gegen die Behauptungen für den letzten Absatz aufgehoben hat. Bei der „qualitätsjournalistischen“ Fachzeitschrift PC-Welt mit ihrem sehr windows-lastigen Schwerpunkt hätte man sich der Unsinnigkeit einer derartigen „Messung“ aber sehr bewusst sein müssen; dort beweist die völlig kritiklose Übernahme dieser Meldung, dass es sich nicht um eine Fachzeitschrift, sondern um eine Flachzeitschrift handelt. Für potenzielle Leser, die persönlich daran interessiert sind, dass sie in einem Presseprodukt den Unterschied zwischen journalistisch erarbeiteter Information und reiner Reklame erkennen können, ist diese kritiklos in den redaktionellen Teil übernommene Presseerklärung ein deutlicher Hinweis, dass sie sich besser aus einem anderen Magazin informieren sollten.


Standard beim Messen des Stromverbrauchs

Der TÜV prüfte unter anderem, wie viel Energie die einzelnen Browser verschlingen, um die zwanzig beliebtesten deutschen Seiten zu laden – etwa die Maildienste von Web.de und T-Online. Außerdem nahm der Dienstleister unter die Lupe, wie groß der Energiehunger der Browser bei der Darstellung multimedialer Elemente ist. Grundlage dafür war der Standard HTML5.

Welt Online — Browser-Energiespartest: Schnell und sauber durchs Internet.

Kommentar

Am gesamten Artikel (bitte bei Interesse dem Link unter dem Zitat folgen) ist so viel falsch, dass es ermüdet, zu den Fehlern Stellung zu nehmen.

Aber ich will zum ganz großen Bullshit darin nicht völlig schweigen und verliere deshalb doch ein paar Worte dazu.

Wenn man misst, misst man leicht Mist. Der Technische Überwachungsverein — der aus mir unerfindlichen Gründen einen viel zu guten Ruf hat — hat also im Auftrage Microsofts gemessen, welchen Energieverbrauch es verursacht, mit verschiedenen Webbrowsern eine Reihe populärer deutscher Websites anzusurfen. Wie diese Messung durchgeführt wurde, gehört zu den interessanten Dingen, die uns Microsoft nicht in der kommenden Greenwashing-Reklame sagen wird und die uns auch von den eifrigen Qualitätsjournalisten in der Welt Online nicht mitgeteilt werden.

Eine sehr naheliegende Möglichkeit für eine derartige Messung ist es, die Leistungsaufnahme des Rechners hinterm Netzteil zu messen. Hierzu wird erst als Referenzwert die Leistungsaufnahme des vollständig (mit allen gestarteten Hintergrundprozessen) hochgefahrenen Betriebssystemes (in der Untersuchung ein Windows 7) gemessen, diese wird dann mit der Leistungsaufnahme bei bestimmten Anwendungsfällen (Browserbenutzung) verglichen. Auf diese Weise entsteht ein Wert für die zusätzliche Leistungsaufnahme, die durch die Benutzung des Browsers verursacht wird.

Und dieser Wert ist falsch. Er ist falsch in dem Sinne, dass bei einer solchen „Messung“ der Internet Explorer von Microsoft einen erheblichen systembedingten Vorteil hat. Microsoft ist vor ca. fünfzehn Jahren auf die Idee gekommen, den Webbrowser nicht als Anwendung zu implementieren, sondern zur Komponente des Betriebssystemes Microsoft Windows zu machen¹. Dabei übernimmt der Internet Explorer auch etliche Funktionen für die Darstellung des Desktops und die Schnittstelle zur Dateiverwaltung. (Die Bezeichung „Explorer“ für den Dateimanager ist übrigens älter als diese Entscheidung Microsofts.) Der Internet Explorer ist unter Microsoft Windows also immer bereits gestartet und läuft im Hintergrunde mit — und nimmt dabei natürlich auch Leistung auf, die beim eben skizzierten „Messverfahren“ gar nicht ermittelbar ist. Das Fenster mit dem Titel „Internet Explorer“ ist „nur“ eine sichtbar gemachte Nutzeroberfläche für einen bereits laufenden Prozess des Betriebssystemes. Jeder andere Browser hat diesen Vorteil nicht, sondern läuft als zusätzliche Anwendung zu den Systemprozessen. Es ist so gut wie unmöglich, den systembedingten Vorteil des Internet-Explorers aus den gemessenen Werten herauszurechnen.

Es ist völlig sicher, dass Microsoft-Werber sich über diesen Sachverhalt sehr bewusst waren, als sie diese Bullshit-Untersuchung beim TÜV im Auftrag gegeben haben. Dass sich der TÜV darüber im Klaren war, als er „ermittelte“, dass der IE zwischen 8 und 27 Prozent weniger Energie als die anderen Browser verbraucht, erscheint mir hingegen zweifelwürdig.

So weit mein „kleiner“ Schlenker bezüglich des generellen Bullshits in dieser „Messung“.

Offenbar hat auch der professionelle Schreiberling, der diese Zeilen — die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine gekürzte Presseerklärung, also Microsoft-Reklame im redaktionellen Teil, sind — als „qualitätsjournalistisches“ Industrieprodukt in die Tasten hämmerte, gemerkt, dass da etwas fehlte, nämlich ein Hinweis zum Messverfahren. Und so hat er beim Kürzen des Textes eine bemerkenswerkte Kontraktion gebildet…

[…] wie groß der Energiehunger der Browser bei der Darstellung multimedialer Elemente ist. Grundlage dafür war der Standard HTML5

…und HTML5 zum Standard für Energiemessungen im Browserbetrieb erklärt, was in der resultierenden Aussage komplett meschugge wirkt.

Vor allem, weil HTML5 noch nicht einmal für irgendetwas Standard ist. Zurzeit hat das World Wide Web Consortium „nur“ den Working Draft (Arbeitsentwurf) vom 25. Mai 2011 des kommenden Standards veröffentlicht — gemäß Zeitplan des W3C soll der HTML5-Standard im Laufe des Jahres 2014 offiziell verabschiedet werden. Obwohl die gegenwärtigen Browser den Arbeitsentwurf mehr oder weniger² weitgehend implementieren, handelt es sich noch nicht um einen Web-Standard. Der langsame Standardisierungsprozess hat zu erheblicher Kritik geführt, so dass zurzeit versuchsweise mit dem Konzept eines „Living Standards“ gearbeitet wird, der nicht festgeschrieben ist, sondern laufend an die aufkommenden Bedürfnisse angepasst wird. Dass dieses Konzept, mit dem der Begriff „Standard“ zu einer leeren Hülse gemacht wird, sehr umstritten ist, brauche ich wohl nicht weiter auszuführen. Für Gestalter von Websites ist diese Situation sehr unbefriedigend; sie müssen ja jetzt tragfähige und funktionable Ergebnisse erzielen — dafür werden sie schließlich bezahlt — haben aber keine zuverlässige und zukunftsfähige technische Referenz eines Standards zur Verfügung, was sich wie ein Rückschritt in die Neunziger Jahre anfühlt. Pragmatisch wird dieses Problem gelöst, indem man jenes Minimum verwendet, das für das jeweilige Projekt sinnvoll ist und mit den verwendeten Browsern funktioniert… und leise darauf hofft, dass es nicht bei abweichender Standardisierung zu wochenlanger Nacharbeit kommt.

Aber um das alles zu erfahren, hätte der bezahlte Schreiber ja immerhin ein paar Minuten googlen müssen, wenn er schon nichts von den Dingen versteht, von denen er schreibt.

Mir als Leser zeigen solche „qualitätsjournalistischen“ Bullshit-Artikel voller versteckter Reklame und falscher Fakten immer nur, dass bei der industriellen Content-Produktion ohne auch nur eine Spur von Sachverstand gearbeitet wird. Und ich wäre dumm, wenn ich glaubte, dass es an anderen Stellen, von denen ich zufällig weniger verstehe, anders aussähe.

¹Diese Idee aus dem damaligen „Browserkrieg“ hatte Konsequenzen. Sie führte zu einer beispiellos erschreckenden Sicherheitsgeschichte des Internet Explorers und zum Erblühen der organisierten Internet-Kriminalität. Vorteile aus Anwendersicht hat sie hingegen nicht gebracht.

²Opera und Firefox mehr, der Internet Explorer eher ein bisserl weniger…