Sie reden vom Netz wie Blinde vom Licht

Beiträge mit Schlagwort “Bitkom

Bis auf das letzte Bit

Das ist bislang der realsatirsche Dampfblah des Jahres:

Wir müssen in der Lage sein, und das ist auch Konsens mit der Bundesregierung, importierte IT-Systeme durchzuprüfen bis auf das letzte Bit und Byte. Und wir müssen importierte Technologien härten und sicher machen können

Bernhard Rohleder, Bitkom-Geschäftsführer

Es ist ja gar nicht so schlimm…

…aber: Bei dieser reißerischen, eher in die Boulevardpresse als in die Pressearbeit eines auf seriös machenden Fachverbandes passenden Formulierung habe ich unwillkürlich ein Bild vor meinen Augen, das nicht mehr weichen will. Ich sehe, wie die Bundesregierung und die Bitkom sorgsam, vielleicht sogar unter Anwendung eines Vergrößerungsglases, sicher jedoch mit ständigem Nachschlagen in technischer Dokumentation, in monatelanger, entbehrungsreicher geistiger Arbeit einen auf Endlospapier ausgedruckten Hexdump der Firmware eines importierten MP3-Players oder einer importierten Kamera oder eines importierten Telefones oder eines importierten Routers bis auf das letzte Bit und Byte durchprüfen. Und dieses Bild ist einfach in seiner Lächerlichkeit zu wertvoll, als dass ich es verschweigen möchte… 😀


Fachkräftemangel

Die IT-Branche leidet unter Fachkräftemangel – und der wird sich nach Meinung von Experten künftig weiter verschärfen. Der Bitkom will dem Mangel mit einem Drei-Säulen-Modell begegnen. Dabei soll vor allem auch um weiblichen Nachwuchs geworben werden. […] Der Bitkom hat zur Behebung des Mangels eine Drei-Säulen-Strategie vorgeschlagen, die neben verstärkter Zuwanderung auch aus Nicht-EU-Ländern und einer Reform des Bildungssystems eine Qualifizierungsoffensive vorsieht, um vor allem weibliche Fachkräfte stärker zu gewinnen.

Meldung der DPA, die vermutlich vollständig auf eine Presseerklärung der BITKOM zurückgeht und von sueddeutsche.de übernommen wurde

Muss man das noch kommentieren?

Der schlimme, schlimme „Fachkräftemangel der IT-Branche“ — als Sammelbegriff ist dieses sehr allgemeine Wort ungefähr so tauglich wie eine Bezeichnung „Arbeitermangel in der holzverarbeitenden Industrie“, das dann alle Tätigkeiten vom Baumfällen über Sägewerker, Drechsler, Küfer, Wagner Zimmermann bis hin zum Musikinstrumentenbauer, Holzschuhmacher und Sargschreiner zusammenfassen soll, und es wirkt nur deshalb nicht so absurd wie meine eben probierte absurde Zusammenfassung, weil die aus solchen abgeschriebenen Presseerklärungen informierten Menschen zu Analphabeten der Informatik gemacht werden — also, dieser schlimme, schlimme Fachkräftemangel, den man mit dem Vehikel eines bewusst unscharf und nichtssagend gewählten Wortes gleich noch ein bisschen größer und erschreckender rechnen kann, er ist ja eine wirklich sehr neue Erscheinung. Und wie dieses tolle Schlagwort zu deuten ist, weiß sogar die deutschsprachige Wikipedia zu berichten:

In Deutschland gilt der Begriff „Fachkräftemangel“ primär als ein interessengeleitetes Schlagwort […] Darüber hinaus führt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft 240.000 gemeldete Stellenangebote für Fachkräften im MINT-Bereich, also Ingenieure (79.400), Mathematiker und Naturwissenschaftler (4.400), Datenverarbeitungsfachleute (49.200) und Techniker (34.000)[9] auf, denen 74.000 Arbeitslose mit entsprechenden Qualifikation gegenüberstehen. Jedoch wird diese Studie unter anderem von Karl Brenke (DIW) scharf kritisiert, da diese Zahlen hochgerechnet würden, um auch freie Stellen zu berücksichtigen, die nicht den Arbeitsagenturen vorliegen […] In der Diskussion sind auch immer wieder zusätzliche Anwerbeanstrengungen für Fachkräfte aus dem Ausland, wobei viele eingewanderte Hochqualifizierte in Deutschland bereits in Niedriglohnjobs arbeiten und keine ihrer Qualifikation entsprechende Position erlangen

So mancher erfahrene Informatiker, der mit 38 Jahren zusammen mit etlichen anderen erfahrenen Informatikern im Wartebereich seines zuständigen Jobcenters sitzt und erlebt, dass ihn niemand für seine Arbeit angemessen bezahlen will, wird sicherlich sehr erstaunt derartige Darstellungen in der Journaille sein. Aber auch ein Mensch, dem diese leidvolle Erfahrung erspart bleibt, kann sich relativ leicht die Frage stellen, wieso es bei diesem seit fünfzehn Jahren immer wieder aus dem Rhetorikkoffer herausgeholten Schreckgespenst des so fürchterlich drückenden „Fachkräftemangels“ der IT-Branche so gar keine Versuche betrieblicher Qualifizierungsmaßnahmen gegeben hat, sondern immer nur die Forderung, billigere und wegen ihrer dann entstehenden Lebenssituation ausgeliefertere Leute aus dem Ausland beschäftigen zu können.

Neu ist jetzt allerdings, dass „weibliche Fachkräfte“ gewonnen werden sollen. Ob die sich wohl eher für den ganz speziellen Informatik-Lebensstil begeistern werden? :mrgreen:


Toll und Neu: Das Offline-Streaming

Beim Streaming werden die Audiodaten aus dem Internet geladen und sofort abgespielt, ohne dass vorgesehen ist, diese Daten wie bei einem Download zu speichern. „Der Trend geht auch in der Musik immer stärker weg vom Besitz von CDs oder Dateien und hin zur reinen Nutzung“, erklärte Bitkom-Präsident Dieter Kempf.

[…] Dabei ist meist auch die Möglichkeit vorgesehen, die Lieblingsmusik für Situationen offline bereitzustellen, in denen keine Internetverbindung mögliich ist.

Focus Online — Internet: Musik-Streaming aus dem Netz wird Teil des Alltags
Der Artikel auf Focus Online ist die Übernahme einer DPA-Meldung

Muss man das noch kommentieren?

Nicht nur, dass sich dieses gesamte „qualitätsjournalistische“ Meisterwerk auf Focus Online wie ein Reklametext für Streaming-Anbieter liest, bei dem Trends gemacht werden sollen, indem man sie herbeiphantasiert. Auch erfreut der ungenügend durchgequirlte Bullshit mit der wunderbaren Vorstellung, dass die Musik beim Streaming nicht lokal gespeichert wird, aber doch ganz offenbar lokal gespeichert wird, um sie hören zu können, falls man mal nicht online ist. Die nahe liegende Frage, warum man dann nicht gleich die Musik (gern auch bezahlt) herunterladen und damit zur ganz gewöhnlichen und von den Programmen irgendwelcher Dritten unabhängigen Nutzung erwerben soll, wird von diesen ganz besonders trendigen Trendsettern in Sachen DRM 2.0 allerdings nicht beantwortet. Platsch, sagte es, und ein neuer Blindfisch war im Aquarium.


Die geben das nicht einmal zu!

Nur wenige Internetnutzer geben offen zu, schon einmal Raubkopien von Filmen, Musik oder Software heruntergeladen zu haben. In einer Umfrage des Aris-Institutes räumten 12 Prozent der Befragten ein, schon einmal illegale Inhalte aus dem Netz gezogen zu haben. 69 Prozent sagten dagegen, noch nie Derartiges getan zu haben […]

Für die Studie waren im April 1300 Menschen ab 14 Jahren befragt worden, darunter mehr als 1000 Internetnutzer [sic!].

Focus Online — Internet: Nur wenige stehen zu illegalen Downloads
Meldung ist von der DPA übernommen worden

Kommentar

Ich kann mir das so richtig vorstellen. Die meisten derartigen Umfragen sind ja heute aus Kostenersparnisgründen diese ziemlich unseriösen Umfragen über Telefon. Da ruft also jemand, den ich nicht kenne und der seine Mitarbeit bei einem so genannten Meinungsforschungsinstitut auf keine Weise zuverlässig belegen kann, an (und kennt also bei aller zugesicherter „Anonymität“ mindestens die Telefonnummer, was bereits für eine Identifikation des Haushaltes ausreicht) und fragt am Telefon, ob man etwas Illegales gemacht habe, das eine Menge Geld kosten würde, wird man dabei erwischt. Das gibt man doch sofort, bedenkenlos und völlig offen zu! Aber nur, wenn man zu diesem ungefähren Achtel der Bevölkerung gehört, das aus vertrauensseligen und leichtgläubigen Gimpeln besteht, denen auch mit Betrügereien aller Art das Geld aus der Tasche gezogen werden kann. Was sich dieser Unternehmensverband Bitkom gedacht hat, als er diese Umfrage in Auftrag gab, weiß ich natürlich nicht — aber dass sich auf diese Weise keine Übersicht über die Größenordnung der Nutzung eines Internetzuganges für Downloads von nicht-lizenzierten Werken (in DPA-Meldungsdeutsch: „Raubkopie“ und „Piraterie“) gewinnen lässt, hätte vorher durch eine halbe Minute Gehirnbenutzung einleuchten müssen.


Warnsysteme wie Ampeln

[Frage:] Immer wieder kommt es in diesen Tagen zu spektakulären Hackerangriffen, zum Teil werden sehr sensible Daten geklaut. Wie soll denn da Vertrauen entstehen?

Dieses Vertrauen müssen Unternehmen und Privatpersonen in der Tat erst aufbauen. Wir brauchen Warnsysteme, wie wir sie in der realen Welt aufgebaut haben, auch fürs Internet. Ich vergleiche das gerne mit einer Ampel. Die ist auch fast immer sicher, aber eben nicht immer. Deshalb passen die Leute im Straßenverkehr auf. Und das ist auch in der virtuellen Welt geboten.

Dieter Kempf: Vorstandsvorsitzender der DATEV eG und Präsident des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom)

Kurzkommentar

Ah ja, Herr Kempf, sie halten ein Verkehrszeichen wie eine Ampel wohl für ein „Warnsystem“, statt für ein Verkehrszeichen — und deshalb wollen sie Ampeln ins Internet stellen, damit es dort fast immer sicher ist. Weil man jetzt Verkehrszeichen ins Internet stellt, um „Sicherheit“ herzustellen. Zumindest so lange, wie eventuelle Angreifer darauf achten, bei Grün zu gehen und bei Rot zu stehen. Und weil das denn doch nicht immer der Fall ist, passen die Leute eben trotzdem auf, aber haben mehr Vertrauen. In der „realen Welt“ genau so wie in diesem Internet, das sie, Herr Kempf, als Gegensatz zur Realität sehen. Ich habe ihre mit dem Handelsblatt abgesprochenen Chiffren mehrere Male gelesen, aber egal, wie oft ich darin lese, will sich kein Sinn darin zeigen. Mir scheints, Herr Kempf, sie fühlen sich einsam und möchten unter die Blindfische — und diesen Wunsch gewähre ich ihnen gern.

Noch etwas ganz anderes

Ich finde es übrigens zum Kringeln herrlich, Herr Krämpf, wie sie im gleichen Interview mit dem Handelsblatt von „Vertrauen“ in Bezug auf den sicherheitstechnischen Irrsinn namens „Cloud Computing“ — dem diesjähigen Bullshit-Bingo-Thema der CeBIT — sprechen:

Vertrauen ist vor allem dann wichtig, wenn Unternehmen Daten und Anwendungen außer Haus geben, wie es beim Cloud Computing geschieht. Gerade kleinen und mittelgroßen Firmen fällt die Einschätzung schwer, ob sie den IT-Anbietern da vertrauen können. […] Wir wollen noch transparenter darstellen, was wir tun. Die Kunden sollten sich dabei auch auf Zertifizierungen verlassen können, also eine Art IT-TÜV, wie er im Rahmen der Bundesstiftung Datenschutz geplant ist. Vertrauenswürdige Spezialisten können dabei überprüfen, ob die Anbieter ihre Versprechen einhalten, etwa was den Datenschutz angeht.

Meinen sie damit solche „Siegel“, wie man sie etwa für teures Geld beim TÜV kaufen kann, um seinen Kunden dann wiederum etwas gefühlte Sicherheit verkaufen zu können? So eins, wie es etwa libri.de gekauft hat, um dann aber wegen unentdeckter, grob fahrlässig schlechter Programmierung eine halbe Million Geschäftsvorfälle (mit Anschrift, Lieferadresse, Rechnungsbetrag und allem drum und dran) im Klartext ins Internet zu stellen? Ja, so richtig zum Download, dafür war nicht einmal ein Hack erforderlich! Wer sich im Netze treibt, muss da schon in Alzheim wohnen, um solches zu vergessen. SchülerVZ, das stolz ein TÜV-Prüfzeichen für Datensicherheit und Funktionalität bezahlte und in seine Seiten klebte, hat auch mal eben anderthalb Millionen Datensätze unzureichend geschützt und damit zugreifbar gemacht — und nicht einmal genug betrieblichen Prozess gehabt, um vorab auf einen Hinweis auf dieses Problem zu reagieren. Wozu auch betriebliche Prozesse, wenn man doch irgendwelche Bullshit-Prüfzeichen und Tinnef-Siegel kaufen kann, die viel werbewirksamer als das Streben nach größtmöglicher Sicherheit sind, dieser niemals endende Kampf gegen Windmühlenflügel.

Nein, wer sich auf Bullshit-Zertifizierungen verlässt, der ist verlassen. Das ist die eine Erkenntnis, die alle Menschen bekommen müssen — ergänzt um die Erkenntnis, dass die Größe eines Unternehmens oder sonstigen Anbieters nicht gerade mit Datensicherheit korrelliert ist, wie man zum Beispiel an…

…sehen kann. Was dieser allgemeine „Standard“ der Sicherheit für einen Unternehmer bedeuten sollte, wenn er allen Ernstes darüber nachdenkt, geschäftskritische Daten in der „Cloud“ — also auf Servern außerhalb seines eigenen Einflussbereiches — abzulegen, ergibt sich ganz von allein durch Benutzung der Schädelfüllmasse. Es gibt Daten, die nicht einmal ins Internet gehören! Und dazu kommt: Jede zusätzliche Komplexität in der Datenhaltung eröffnet weitere Gefahren für die Sicherheit der Daten, das gilt natürlich auch für den modernen, von Werbeschreiern aller Art so allmedial als beste Erfindung seit dem Rade vertetenen Hirnfurz des „Cloud Computing“.

Aber Herr Kempf, sie müssen ja das Bullshit-Thema der diesjährigen CeBIT vertreten, und da kommts auf Vernunft nicht so an, gelle?! Und wie sie sich dieser Aufgabe entledigt haben! Großartig! Nur eine Empfehlung für die Leistung der von ihnen vertretenen DATEV eG ist das weniger…