Sie reden vom Netz wie Blinde vom Licht

Archiv für Februar, 2012

Die große Gefahr für alle Grundrechte

Das weltweite Internet bietet alle Voraussetzungen, um die in den ersten zehn Artikeln unserer Verfassung verankerten Grundrechte aller Bürger in diesem Land auszuhöhlen. Das gilt insbesondere für das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit in Artikel Fünf — eine wesentliche Grundlage unserer funktionierenden Demokratie — und es gilt letztlich auch für den Kernsatz unserer Verfassung, den Artikel Eins des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar

Dr. h.c. Joachim Gauck (parteilos), Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, zitiert nach Fefe

Na dann, Blindfisch for President! Dass ausgerechnet das Internet eine Bedrohung des Grundrechts auf Freie Meinungsäußerung sein soll, ist eines der blindesten Worte gegen das Internet, die ich je gehört habe — grob vergleichbar mit der kühndoofen Behauptung, dass Licht das Sehen verhindert.

Nachtrag 8:50 Uhr

Was ich eigentlich statt des Befüllens des Blindfisch-Aquariums hätte schreiben sollen, aber deshalb nicht geschrieben habe, weil ich bei der ausführlichen Auseinandersetzung mit betonfundamenthafter Idiotie selbst zum Idioten zu werden drohe, steht unter anderem in der Telepolis, bei F!XMBR und bei Indiskretion Ehrensache. Es wird vermutlich im Laufe des Tages noch einiges dazukommen.


Acta soll Urheberrecht international durchsetzen

Internet
Darum geht’s:Acta soll Urheberrecht international durchsetzen

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Acta) ist ein internationaler Handelspakt mit dem Ziel, Urheberrechte auch international durchzusetzen. Das Abkommen gegen Produkt-Piraterie ergänzt das TRIPS-Abkommen von 1994 im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO).

Der Acta-Vertrag geht auf eine Initiative der USA und Japans aus dem Jahr 2006 zurück. Kritiker sehen in dem Abkommen eine Einschränkung von Freiheitsrechten im Internet. Viele User haben zum Beispiel die Sorge, dass sie nicht mehr so leicht Filme oder Musik aus dem Internet herunterladen können, dass ihre Daten dabei an Dritte weitergegeben werden oder dass sie saftige Strafen zahlen müssen.

Focus Online — Darum geht’s: Acta soll Urheberrecht international durchsetzen
Diese Meldung wurde von der DPA übernommen

Kommentar

Nein, Focus Online, nein, DPA, es geht nicht darum, „dass man nicht mehr so leicht Filme oder Musik aus dem Internet herunterladen“ kann, wie ihr es hier schambefreit schreibt, um eure Leser so richtig für dumm zu verkaufen. Es geht darum, dass unter den Bedingungen des gnadenlos unscharf formulierten ACTA-Abkommens die Zugangsprovider für eventuelle Urheberrechtsverstöße der Nutzer haftbar gemacht werden könnten. Die einzige halbwegs sichere Vorgehensweise für Zugangsprovider wäre es in solcher Situation, den gesamten Netzverkehr zu überwachen und in einer für Nutzer nicht nachvollziehbaren Weise scheinbare und wirkliche Urheberrechtsverletzungen zu unterdrücken.

Nehmen wir nur mal ein Beispiel, Focus Online und DPA. Ich habe eure sehr durchschaubare Propaganda mit einer vorsätzlich falschen und verunglimpfenden, da kriminalisierenden Behauptung hier im Alarmknopf zitiert. Das ist bereits eine Urheberrechtsverletzung. Die Dokumentation dieser… sorry… unsäglichen Lügenpropagandaschmiererei durch eine Contentindustrie, der durch den Verlust ihres Oligopols auf eine Infrastruktur zur Anfertigung von Kopien ihr Geschäftsmodell dahinschwindet, ist allerdings ohne Zitate nicht möglich. Das hier eingangs wiedergegebene Zitat einer DPA-Meldung könnte also bereits dazu führen, dass diese Website von Zugangsprovidern vorauseilend unsichtbar gemacht wird. Welche Auswirkungen ein solches Verschwinden von Inhalten auf die Möglichkeiten zur Meinungsbildung und damit zur politischen Willensbildung hat, brauche ich hoffentlich nicht weiter auszuführen.

Mag man eingestehen, dass Zitate in einem gewissen Rahmen noch möglich sein sollen, so geht es aber gleich weiter. Ein Zitat, dass ich nicht mit einer Quellenangabe belegen kann, ist wertlos. Ich könnte mir das Zitat genausogut einfach ausdenken. Beim Belegen von Druckwerken habe die bibliographischen Angaben zur Verfügung, die die verwendete Quelle so genau wie möglich dokumentieren. Im Web bliebe mir nur der Hyperlink auf eine Resource, die außerhalb meiner eigenen redaktionellen Verantwortung liegt und sowohl verändert werden kann als auch völlig verschwinden kann. Die Erfahrung lehrt mich dabei, dass gerade auf den Websites der Contentindustrie (TV-Sender, Zeitschriften und Zeitungen) Inhalte ohne Hinweis nachträglich geändert oder auch einmal völlig entfernt werden, so dass die Verwendung eines Zitates aus solcher Quelle erfordert, dass ich die Quelle archiviere. Ich verwende hier zu diesem Zweck WebCite, ein Archivierungsdienst, der nicht nur mir den Beleg eines Zitates gestattet, sondern zum Beispiel wissenschaftliches Arbeiten mit Internetquellen überhaupt erst ermöglicht. Nun ist das Angebot von WebCite — im Lichte des gegenwärtigen Rechtes betrachtet — eine reine Urheberrechtsverletzung; es wird eine Kopie eines im Web veröffentlichten Werkes angelegt, dauerhaft archiviert und im Web zur Verfügung gestellt.

Dieser in EU-Fischereiausschuss klandestin beschlossene Irrsinn namens ACTA könnte leicht zur Folge haben, dass Dienste wie WebCite gesperrt werden. Sowohl wissenschaftliche Arbeiten als auch allgemeine Dokumentationen könnten dann ihre Zitate aus Webresourcen nicht länger zuverlässig mit Quellen belegen. Es könnte also — und das ist nur ein einziges Beispiel — dazu kommen, dass wissenschaftliche Arbeiten und allgemeine Dokumentationen sich nicht mehr des riesigen Inhaltsschatzes aus dem Internet bedienen können. Eine riesige Sammlung von kollektivem Wissen würde aus dem ernsthaften Diskurs verschwinden. Und das nur, weil die Lobbyisten der Contentindustrie mit recht künstlichen Regulierungen des Internet einen längst technisch überwundenen Zustand mit gesetzgeberischer Gewalt wiederherstellen wollen, in dem eine kleine gesellschaftliche Minderheit über die Produktionsmittel zur Anfertigung von Kopien verfügt.

Welche gesellschaftlichen Folgen diese Fortschrittsverhinderung haben kann, ist an diesem kleinen Beispiel hoffentlich deutlich geworden.

Das Herunterladen von Filmen und Musik freilich, das Nutzen der billigen und allgegenwärtig gewordenen technischen Möglichkeit zur Anfertigung von Kopien, es wird sich freilich nicht ohne willkürliche, entrechtende, kriminalisierende und fortschrittsverhindernde Gewalt in Form einseitiger und absurder Gesetzgebungsverfahren und/oder internationaler „Abkommen“ unterdrücken lassen — schön an allen Menschen vorbei, denen der Fortschritt der letzten Jahre eine spürbare Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen gewährt hat. Ganz so, als hätte man damals die Kutschenbauer retten wollen, indem man Autos verbietet oder ihre Nutzung so strikt reglementiert, dass es für die Mehrzahl der Menschen einem Verbote gleich kommt.

„Schön“, wie die Contentindustrie mit so durchschaubaren Propagandalügen erkennen lässt, dass sie den Fortschritt hasst und sich in diesem Hass gegen die Menschen stellt, denen sie doch etwas verkaufen will. Damit es auch jeder bemerken kann, und damit auch jeder die richtigen persönlichen Schlüsse daraus ziehen kann.

Nachtrag 27. Februar 11:44 Uhr

Auch RP Online verarscht ihre Leser erklärt ihren Lesern die Motive der Demonstranten:

[…] Die Aktivisten fürchten, dass bei jedem heruntergeladenen Film gleich ihre Daten weitergegeben werden und ihnen saftige Strafen drohen.


Über 37 Millionen E-Mails mitgelesen

Diverse Medien der Contentindustrie gaben die (zweifelhafte) Zahl der (stets fragwürdigen) Bildzeitung wider, dass die Geheimdienste der BRD im Jahre 2010 über 37 Millionen E-Mails mitgelesen hätten. Die Auswahl der Mails wurde angeblich anhand von Schlüsselwörtern wie „Bombe“ getroffen. Diese beachtliche Menge an Lesestoff aus privater Kommunikation von Menschen führte nach (zweifelhaften) Angaben der Bildzeitung insgesamt zu 213 verwertbaren Hinweisen für die Geheimdienste.

Sollten sich die (zweifelhaften) Angaben der Bildzeitung bestätigen, so ist damit publik geworden, dass Methoden der Rasterfahndung von deutschen Inlandsgeheimdiensten regelmäßig angewendet werden, dass die private Kommunikation von Menschen in der BRD standardmäßig analysiert und nach verhältnismäßig einfachen Mustern zur Lektüre durch die Mitarbeiter deutscher Inlandsgeheimdienste ausgewählt wird. Ein Satz wie „Das war ein Schuss wie eine Bombe“ in der Wiedergabe eines Fußballspieles ist bereits hinreichend, dass Daten über persönliche Kommunikation und über persönliche Beziehungen durch Inlandsgeheimdienste der BRD gesammelt und möglicherweise analysiert werden. Eine Kontrolle dieser Vorgehensweise durch die Öffentlichkeit findet außerhalb des Geheimdienstausschusses des Deutschen Bundestages nicht statt. Die „Trefferquote“ von weniger als 0,006 Promille relevanter Informationen in dieser Menge macht deutlich, dass von Verhältnismäßigkeit bei dieser Maßnahme nicht die Rede sein kann.

Keines dieser Medien hat auch nur einen Hinweis darauf gegeben, wie man seine private Kommunikation vor derartigen Zugriffen sichert — die dafür erforderlichen Techniken und Hilfsmittel stehen seit über einem Jahrzehnt allen Menschen frei zur Verfügung. Keines dieser Medien hat diese (vorgebliche) völlige Unverhältnismäßigkeit einer weitgehenden Überwachung persönlicher Kommunikation zu Anlass genommen, ein kurzes Tutorial zu verfassen, wie man verschlüsselte Mail nutzt. Das ist übrigens verhältnismäßig einfach, denn freie Software zur bequemen Nutzung steht allen Menschen zur Verfügung. Wer zum Mailen den Mozilla Thunderbird verwendet, wird die Verwendung von Enigmail besonders einfach finden. Der zusätzliche Aufwand beim Verfassen einer Mail — ein Klick in ein Menü, der ein Häkchen setzt und die Eingabe einer Passphrase beim Versenden der Mail — ist gering. Jeder kann damit klarkommen.

Alle diese Medien haben durch dieses Verschweigen den Eindruck erweckt, dass man solchen Eingriffe in seine Intimsphäre — ja, ich betrachte persönliche Kommunikation als intim und das heimliche Mitlesen als etwa so übel wie Kameras in der Wohnung — schutzlos ausgeliefert wäre. Das ist nicht der Fall. Jeder kann etwas dagegen tun, dass seine Mails von anderen Menschen als dem geplanten Empfänger gelesen werden können.

Vermutlich haben sich die „Qualitätsjournalisten“, die hier eine recht reißerische Meldung der Bildzeitung wiedergekäut haben, ohne auch nur die naheliegendste Hinzufügung zu machen, sogar noch besonders „kritisch“ gefühlt. Sie sind aber einfach nur dumm, oberflächlich und auf reißerische Schlagzeilen über Artikeln aus, die Menschen nicht informieren. Insofern ists durchaus passend, dass allenthalben von der (stets fragwürdigen) Bildzeitung abgeschrieben wird, steht man doch schon längst auf der gleichen qualitativen Stufe.

Disclaimer: Ich habe nur die Berichterstattung der großen Zeitungen und Magazine im Internet betrachtet, vielleicht findet sich ja in mancher Lokalzeitung noch der eine oder andere Journalist, der unter Journalismus etwas anderes versteht, als das Wiedergeben noch der fragwürdigsten Agenturmeldung mit zweifelhafter Quellenlage. Zum Beispiel die Aufklärung der Menschen, damit sie selbstverantwortlich Entscheidungen treffen können. Was ich in den letzten vierzig Minuten vor mir gesehen habe, war jedenfalls ein vollständiges Versagen des Journalismus


Das Nichtraucher-Internet

Eine ähnliche Politik verfolgen viele Staaten der Welt, um die Schäden der öffentlichen Gesundheit durch das Rauchen einzuschränken. Einzelpersonen wird eine gewisse Freiheit gewährt, sich riskant zu verhalten, die gleiche Freiheit sollte Computer-Nutzern zugestanden werden. Gleichzeitig sind Regierungen in der Verantwortung, die Nutzer vor potentiellen Gefahren zu warnen und sie davon abzuhalten, andere zu infizieren. Der gleiche Gedanke steckt hinter der Einführung von Nichtraucher-Zonen. Dadurch hat die Regierung die Verantwortung, zu gewährleisten, dass das Internet ein öffentlicher Raum wie jede andere ist, den jeder betreten kann, ohne seine Gesundheit zu gefährden.

But Klaasen, Sozialliberale Partei der Niederlande
Zitiert nach Netzpolitik

Willkommen bei den Blindfischen!

Quelle des Bildes: Wikimedia. Das verwendete Bild ist gemeinfrei. Eine größere Version meiner trivialen Nachbearbeitung steht zum freien Download zur Verfügung. Share and Enjoy!


Megaupload war keine Tauschbörse

Internet-Tauschbörse: Kim Dotcom auf Kaution aus U-Haft entlassen

Kommentar

Nein, Hamburger Abendblatt, dieses „Megaupload“ war keine Tauschbörse (wie etwa alle Peer-to-Peer-Filesharing-Dienste vom ollen Gnutella über eDonkey, eMule, Manolito, FastTrack bis hin zu BitTorrent), sondern ein Sharehoster. Es war ein zentraler Serverpark, bei dem Menschen Dateien hochluden und wieder runterluden. Kein Netzwerk gleichberechtigter Rechner zum Austausch von Daten. Ohne auch nur die Spur eines Tauschgedankens dahinter. Oder noch einmal: Etwas fundamental anderes.

Und nein, Hamburger Abendblatt, das ist keine Haarspalterei. Die Verwendung zutreffender Begriffe, die klare Trennung begrifflicher Kategorien ermöglicht erst das vernünftige Nachdenken über diese Erscheinungen des Internet, und damit auch erst den verantwortungsvollen Umgang mit diesen Erscheinungen. Der zentrale Serverpark namens Megaupload war nämlich kommerzialisierbar, und Kim Schmitz hat sich eine goldene Nase mit den nicht lizenzierten Kopien anderer Menschen verdient. Eine dezentrale Tauschbörse ist nicht kommerzialisierbar, weil ihr nicht ein Client-Server-Modell zugrunde liegt, sondern ein Peer-to-Peer-Modell.

Ich kann verstehen, dass ihr als Vertreter der Contentindustrie solche völlig verschiedenen Dinge zusammenkippen wollt, um die Empörung über einen Großverbrecher wie Kim Schmitz auf Dinge auszuweiten, mit denen er nichts zu tun hat. Aber eure hier angewendete Propagandamethode wirkt auf jeden, der auch nur grundlegende Kenntnisse hat, so, als würdet ihr ein Auto mit einem Paar Turnschuhe verwechseln, weil man sich ja mit beidem fortbewegen kann. Oder als brächtet ihr einen Volksentscheid mit dem Erlass eines Königs durcheinander, weil eben beides eine Regelung in der Gesellschaft begründet. Oder eben so, als sprächet ihr vom Netz wie ein Blinder vom Licht.

Ach, ihr wendet euch damit an die Unwissenden, damit sie unwissend bleiben und jeder weiteren Fehlinformation aufsitzen? Damit ihr ihnen zum Beispiel vielleicht morgen schon erzählen könnt, Suchmaschinen begingen Urheberrechtsverletzungen, weil man damit — Achtung! Ganz geheimer Geheimtipp! — nicht-linzenzierte Kopien¹ finden kann? Presse eben, ich hätte es mir gleich denken können!

¹Wenn man diese einfache Vorgehensweise mit ein paar späteren Produkten der Musikindustrie ausprobiert, landet man allerdings leicht bei zwielichtigen Fakeseiten, deren Betreiber zu wissen scheinen, dass zumindest von einigen Menschen auf diese naheliegende Weise gesucht wird.