Schaffen
Wenn Washington die Marktmacht amerikanischer Unternehmen in der Internet-Branche missbraucht, dann müssen wir angemessene Alternativen schaffen
Dieter Wiefelspütz, SPD, Abgeordneter des Deutschen Bundestages
Kommentar
So hört sich ein schnell im Wahlkampf herausgelassenes politisches Blubberbläschen zu einem aktuell in den Medien präsenten Thema mit gehörigem Empörungspotenzial an, das in spätestens drei Monaten wieder vollständig vergessen ist — und dann gehts weiter wie gehabt, übrigens auch mit Vorratsdatenspeicherung für alle und staatlich erstellter Schadsoftware auf den persönlich genutzten Computern von Menschen, gegen die ermittelt wird.
Aber nehme ich diese Aussage eines bedeutenden zeitgenössischen Innenpolitikers aus Deutschland einmal ernst, auch wenn sie das nicht verdient.
Gehe ich ferner einmal davon aus, dass Herr Wiefelspütz nicht ernsthaft die Absicht hat, die Politik zu verlassen und eine Unternehmung aufzubauen, die attraktive Internet-Dienste anbietet. Was will der werte Herr Wiefelspütz von der SPD denn stattdessen tun, um angemessene Alternativen zu schaffen? Als Politiker? Er scheint genau zu wissen und dieses Wissen notdürftig im gummibandigen Worte „wir“ zu verstecken, wie es wirklich aussieht. Seine Aufgabe ist nicht das „Schaffen“. Er kann — zusammen mit seinen Kollegen im Parlament — nur eines tun, er kann als Mitgesetzgeber „nur“ einen rechtlichen Rahmen setzen, in dem sich die Aktivitäten anderer Menschen in Deutschland mehr oder minder entfalten können. Das ist übrigens auch seine Aufgabe, für die er Mitglied des Deutschen Bundestages ist.
Und wie sieht der in der Vergangenheit sowohl von der SPD als auch von CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen geschaffene oder trotz der davon verursachten Probleme unverändert belassene gesetzliche Rahmen für die „Internet-Branche“ (und für jeden privaten Mitgestalter des Internet im Rechtsraum der Bundesrepublik Deutschland) aus? Ist es förderlich für die „Schaffung von angemessenen Alternativen“, wenn…
- …für Privatpersonen schon die harmloseste eigene Aktivität im Internet mit unwägbaren juristischen und existenzbedrohenden finanziellen Risiken einhergeht?
- …ein absurdes Standesrecht wie das „Leistungsschutzrecht für Presseverleger“ gezielt so unscharf formuliert wird, dass seine genaue Bedeutung für die Praxis (was darf ich kostenlos, was ist sicher lizenzpflichtig und was ist „grenzwertig“) in den kommenden Jahren von Richtern festgelegt wird — und zwar vor allem in den Hamburger Dunkelkammern eines Andreas Buske, weil sich sowohl Juratrolle als auch Rechteinhaber den für sie günstigsten Gerichtsstand in Internetangelegenheiten aussuchen können?
- …Jugendschutz — der übrigens unter oft willkürlichen Gesichtspunkten durchgesetzt wird — durch eine Beschränkung von Sendezeiten im Internet erreicht werden soll?
- …die Nutzung datenschutztechnischer Standardverfahren durch Gesetzgebung quasi für illegal erklärt wird?
- …spezifisch bundesdeutsche Formen der Internet-Kriminalität, die in keinem Rechtsrahmen keines anderen Staates in dieser Form möglich sind, nicht durch eine überfällige Anpassung von Gesetzen angegangen, sondern auf die lange Bank einer europäischen Regelung verschoben werden?
- …unter dem geltenden Urheberrecht in der Bundesrepublik schon die gewöhnlichsten Nutzungen von Kommunikationsdiensten im Web zu Problemen führen können, die offenbar auch für Politiker so absurd sind, dass ein Mitglied des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages unzutreffende Auffassungen von der wirklichen Rechtslage entwickelt?
Oder ist es nicht vielmehr so, dass der politisch geschaffene und offenbar auch politisch gewollte gesetzliche Rahmen das Potenzial in sich trägt, jeden Aufbruch, jedes Experiment, jede Geschäftsidee im Internet innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu ersticken? Die hier gegebene Liste ist dabei nicht einmal vollständig, es handelt sich nur um Dinge, die mir spontan einfallen, weil ich gerade meine Notizen nicht zur Hand habe.
Das, was Herr Wiefelspütz und auch seine Kollegen aus CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen „schaffen“, erwürgt jede Schaffenskraft schon an der Wurzel. Aber darin — immerhin — darin ist es sehr… Achtung, anderes Bullshit-Wort… nachhaltig.
Hat dies auf SCHLEUDERGANG rebloggt und kommentierte:
Dann sind wir mal gespannt, wie die Politik alternative, europäische Telemedien-Anbieter „schaffen“ will…
16. Juni 2013 um 21:46
Die Alternativen sind z.B. so etwas wie die Ver-Ordnung dieses Rösslers.
20. Juni 2013 um 18:14
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