Sie reden vom Netz wie Blinde vom Licht

Sigmar Gabriel will Sicherheit exportieren

Ich bin dafür, alle Telekommunikations-Unternehmen, die auf deutschem Boden Daten verarbeiten, gesetzlich zu verpflichten, diese Daten zu verschlüsseln […] Das würde das flächendeckende Ausspionieren der deutschen Wirtschaft und unserer Bürger viel, viel schwerer machen.

Sigmar Gabriel, Parteichef der SPD, im Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen

Gar nicht so kurze Anmerkung

Was für eine „Verschlüsselung“ meint der Herr Gabriel hier wohl? Und was denkt er sich, wenn er von „Verschlüsselung“ spricht?

Meint er eine Verschlüsselung der Bestands- und Rechnungsdaten? Diese sind nicht das Problem, wenn Datenleitungen durch eine monströse Megastasi abgehört werden — und darum geht es im Kontext dieser Aussage.

Oder meint er eine Verschlüsselung der Datenübertragung?

Auf welchem Weg sollte diese Verschlüsselung erfolgen? Etwa vom Kunden zum „Telekommunikations-Unternehmen“? Diese Datenleitung liegt innerhalb der Bundesrepublik, und dass sie angezapft wird, ist zwar nicht unmöglich (vor allem nicht bei öffentlichen WLANs oder lokalen Netzwerken, wo jeder aufgeweckte Neunjährige Daten mitsniffen kann), aber eher unwahrscheinlich.

Oder soll das „Telekommunikations-Unternehmen“ die Kommunikation verschlüsselt zu einem anderen Teilnehmer routen? Da müssten sich die beiden Stellen aber auf einen Schlüssel (oder auf asymmetrische Schlüssel) einigen. Auch, wenn die Gegenstelle nicht im Rechtsraum der Bundesrepublik Deutschland liegt. Und natürlich auch, wenn die Gegenstelle zur Offenlegung des Schlüssels an Geheimdienste und Regierungsbehörden verpflichtet ist. Oder wenn die Gegenstelle gesetzlich zur Ausleitung von Daten an die NSA verpflichtet ist, nachdem sie die für den Transport verschlüsselten Daten entschlüsselt hat. „Am besten“ in Form eines neuen Internet-Standards. Nicht, dass so etwas unmöglich wäre, aber es klingt einigermaßen absurd und wäre vollkommen wirkungslos. Ob es das „flächendeckende Ausspähen der Menschen und der Wirtschaft viel schwerer machte“? Nein, gar nicht.

Wie kommt der SPD-Chef Sigmar Gabriel nur auf diese Idee?

Vermutlich hat er etwas andere Vorstellungen davon, wie Daten durch das Internet transportiert werden. Vom Routing hat er noch niemals etwas gehört, und deshalb stellt er sich eine Art Vermittlungszentrale vor, über die alles läuft und an der eine Verschlüsselung zentral vorgenommen werden könnte. Das ist zwar… ähm… nicht so ganz zutreffend, aber es hält ihn nicht davon ab, diesen Gedanken zu denken. Zumal dieser Gedanke auch sehr attraktiv ist, denn er ermöglichte — anders, als die recht wirksame Verschlüsselung von Ende zu Ende, die aber bei aller Wirksamkeit noch eine Menge auswertbarer Metadaten anfallen lässt —  den Einbau einer Datenausleitung für die anlasslosen Überwacher aus der Bundesrepublik Deutschland. Wenn eine Vorstellung so attraktiv für ein Mitglied der classe politique ist, dann wird eben auf Grundlage dieser Vorstellung weitergedacht, so falsch die Grundlagen jedes Gedanken auch sind. So entsteht die „Netzpolitik“ in der Bundesrepublik Deutschland.

Und einen seiner Experten fragen, bevor man ein Wahlkampf-Blubberbläschen zum Tagesgeschehen in die Presse entlässt… dafür ist sich doch so ein SPD-Chef viel zu schade. Er versteht nicht, wovon er redet, und er geht davon aus, dass alle seine Zuhörer ebenfalls dumm sind. Die Qualitätsjournalisten tun ihr übriges dazu, dass die Menschen auch schön dumm bleiben, deshalb werden weder Tatsachen in verständlicher Form aufgeschlüsselt noch werden kompetenzfreie Stellungnahmen am Rande der Idiotie in irgendeiner Form hinterfragt.

Übrigens: Die Aussage…

Unternehmen wie Microsoft, Google oder Facebook haben sich willfährig von der NSA für deren Zwecke einspannen lassen

…ist gnadenloser, volksverdummender Wahlkampf-Bullshit. Diese Unternehmen haben sich nicht „willfährig einspannen“ lassen, sondern sie sind nach geltendem Recht der Vereinigten Staaten von Amerika zur Zusammenarbeit mit der NSA verpflichtet.

Was würde Herr Sigmar Gabriel wohl sagen, wenn hier demnächst die auch von SPD-Politikern explizit gewünschte, anlasslose Totalüberwachung der Menschen in der BRD unter dem Namen „Vorratsdatenspeicherung“ zu geltendem Recht wird, und ein Unternehmen wie… sagen wir mal… Vodafone Deutschland würde sich weigern, die rechtlichen Vorgaben umzusetzen? Es käme recht schnell zu Zwangsmaßnahmen, um die Einhaltung des politisch gesetzten Rechtsrahmens zu erzwingen, und dass diese von einem politischen Lob für die Achtung vor dem Datenschutz begleitet würden, ist recht unwahrscheinlich.

Wer sich hingegen willfährig und ohne jeden juristischen Zwang zum Schergen der US-Geheimdienste gemacht hat, das sind die Geheimdienste der BRD, die über Jahre hinweg mit der NSA zusammengearbeitet haben und diese mit Daten beliefert haben. Ebenfalls willfährig einspannen ließen sich alle Politiker, die eine weitreichende Weitergabe von Bank- und Fluggastdaten an die USA zu geltendem Recht gemacht haben — und sie zeigen auch jetzt, gut sechs Wochen nach Bekanntwerden der weltweiten, anlasslosen Totalüberwachung aller menschlichen Kommunikation durch die USA nicht die geringste Tendenz, diese Fehler rückgängig zu machen. Ganz im Gegenteil. Aus einer derartigen Position heraus mit dem Finger auf Microsoft, Google und Facebook zu zeigen (und dabei Apple zu vergessen, mutmaßlich, weil man selbst Nutzer ist) ist in seiner dummdreisten Heuchelei alles andere als eine Wahlempfehlung.

Und wenn sich diese Heuchelei mit der hirnfreien Hurraforderung…

Wir müssen Datensicherheit zum deutschen Exportschlager machen

…kombiniert, kann ich Herrn Sigmar Gabriel nur nahelegen, erstmal mit einem kleinen, eigenen Beitrag zu beginnen. Zum Beispiel durch Stilllegen des eigenen Facebook-Accounts. Und durch Stilllegen des nur unwesentlich harmloseren eigenen Twitter-Accounts. Wie seltsam! Da ist die Reklamewirkung solchen, von professionellen Lügnern aus dem Willi-Brandt-Haus gepflegten Auftretens dann doch ein bisschen wichtiger als der gerade in gespielter Empörung hervorgekramte Datenschutz; auch als der Datenschutz gegenüber den Genossen aus der SPD, deren Beziehungen, Tagesabläufe, Webnutzungen, Interessen, Handy-Adressbücher und Meinungen vor einem monströsen Apparat eines Staates, der seine militante Außenpolitik gestaltet wie jemand, der an kein Völkerrecht gebunden ist, offengelegt und dort nach intransparenten Kriterien bewertet werden.

Herr Sigmar Gabriel, ich wünschen ihnen, allen ihren Zuhörern und allen Lesern ihres presseverstärkten Mundes, dass sie fortan das Gehirn einschalten, bevor sie die Klappe öffnen!

Dummheit ist ja schlimmer als Mundgeruch…

5 Antworten

  1. gut geschrieben, und ich gebe zu, technisch bin ich so ahnungslos wie Gabriel. Auch wenn der sicher bessere Berater hat, Sascha Lobo z.B. Ich bin auch wirklich kein SPD-.Fan – nachzulesen auf meinen Blog http://sunflower22a.wordpress.com/2013/06/27/warum-ich-aus-der-spd-ausgetreten-bin/
    Aber: ich finde man muss es Gabriel durchaus positiv anrechnen dass er überhaupt mal Vorschläge macht, welche Konsequenzen aus der ganzen Sache zu ziehen sind. Das macht ja fast niemand, außer dass manche Asyl für Snowden fordern. Solange die ganze Diskussion nur darum geht, wie man sich privat zu schützen versuchen soll, oder was Merkel wann wusste, bringt das doch kaum etwas. Deswegen würde ich Gabriel hier nicht völlig zerreißen. Wenn die Diskussion sich darum dreht, was anders werden muss, ist das schon ein Fortschritt gegenüber den aktuellen Empörungsritual.

    24. Juli 2013 um 15:01

  2. Schade um den guten Kaffee! Natürlich würde Mailverschlüsselung zwischen deutschen Providern (Mailservern) etwas bringen. Das juckt die Router nicht, aber es können nur noch verschlüsselte Pakete gesnifft werden und die zu entschlüsseln würde bei der Menge den Aufwand für die NSA und die Chinesen wesentlich unwirtschaftlicher machen.

    24. Juli 2013 um 15:10

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