Sie reden vom Netz wie Blinde vom Licht

Kurzer Rückblick zur Twitter-Zensur

Die von Teilen der BRD-Presse beinahe durch die Bank verharmloste Einführung einer Zensurinfrastruktur durch Twitter hat jetzt, gut neun Monate später, ihre weltweit erste Anwendung gefunden.

Das von staatlichen Stellen gewünschte Verschwindenlassen von Inhalten auf Twitter geht in dieser ersten Anwendung von Twitters Zensurinfrastruktur nicht vom Iran, von Saudi-Arabien, Kuba, Russland oder der Volksrepublik China aus, sondern von Polizeibehörden der Bundesrepublik Deutschland.

Nicht, dass ich persönlich das recht braune Gezwitschere des „Besseren Hannover“ vermissen würde, aber Zensur bleibt Zensur. Die gibt es nicht in gut oder schlecht. Menschen mit einem nationalistischen, reaktionären und rassistischen Weltbild verschwinden nicht, wenn sie mit Zensurmaßnahmen aus der Sichtbarkeit des Internet entfernt werden, genau so wenig, wie der sexuelle Kindesmissbrauch durch Ursula von der Leyens Stoppschild-Träume für das Internet verschwunden wäre. Alles, was ein Rechtsstaat, der diesen Namen verdient, tun sollte, ist es, bestehende Gesetze anzuwenden und Straftaten zu verfolgen. Zur Idee der Meinungsäußerungsfreiheit gehört es (ich denke da manchmal so etwas wie „leider“) auch, dass auch Meinungen vernehmbar werden, die anders sind als die meinige oder die sogar erbärmlich dumm sind (dieses ganze Blog ist eine Sammlung oft unsäglich dummer Meinungsäußerungen von Politikern und Journalisten). Strafbar sind dumme oder andere Meinungen (ja, ich sage da schon wieder: „oft leider“) nicht, wenn das Wort „Meinungsäußerungsfreiheit“ irgendeine Bedeutung behalten soll. Strafbar sind in gesetzlich entsprechend geregelten Fällen Aufforderungen zu Straftaten, und diese können sehr wohl verfolgt werden. Selbst in solchen Fällen erweist sich allerdings das Mittel einer Internetzensur als kontraproduktiv, wenn auch der niedersächsiche Innenminister Uwe Schünemann in seiner Parallelwelt dazu eine etwas andere und recht dumme Meinung hat:

Niedersachens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) nannte die Sperrung des Twitter-Accounts in einer Stellungnahme „einen ganz wichtigen Schritt.“

Worin der konkrete Vorteil für polizeiliche Arbeit und Strafverfolgung liegen soll, wenn Äußerungen in eine Unsichtbarkeit gedrückt werden, die auch Strafanzeigen verhindert, bleibt bei diesem „ganz wichtigen Schritt“ allerdings das Geheimnis des bekannten niedersächsischen Hardliners, Antidemokraten und Freiheitsverachters. Welche Schritte er im Folgenden wohl gehen will, ist da schon deutlich klarer.

Dass die erste Nutzung einer von Twitter eingerichteten Zensurmöglichkeit für staatliche Stellen von der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen ist, ist als Zeichen bemerkenswert. Es ist also wert, dass man es bemerkt und sich merkt. Damit man sich daran erinnere, wenn in Sonntagsreden vom Fortschritt, von der Freiheit, von den Bürgerrechten und von der Innovation blahfaselt wird.

Disclaimer: Nein, ich bin kein Nazi. Ich bin Anarchist. Mein Leben wird motiviert durch die Utopie eines Miteinanders, in dem Menschen so sehr selbstverantwortlich leben, dass Herrschaft als institutionalisierte Gewalt eines Teils der Gesellschaft gegen die Menschen in der gesamten Gesellschaft obsolet wird. Diese Utopie steht die gegenwärtige reale Dystopie eines immer mehr in das Leben der Menschen eingreifenden Staates gegenüber. Nein, ich benutze Worte wie „rechts“ oder „links“ nicht, weil ich das Parlament, aus dessen Sitzordnung solche Bezeichungen kommen, für etwas halte, was einmal überwunden werden muss und weil diese Worte jenseits der politischen Relativität keine Bedeutung haben. Ja, ich rede mit Nazis, wenn dies möglich ist. (In der Gruppendynamik einer Horde ist dies regelmäßig unmöglich, weil sie Menschen barbarisiert.) Ja, ich rede auch mit Nazis, die sich selbst nicht mit diesem Wort bezeichnen würden, die ich aber mit diesem Wort bezeichne. Ja, ich halte Nazis für Menschen, wenn sie auch auf einer unversöhnlichen Gegenposition zu allem stehen, wofür ich lebe. Und nein, ich glaube nicht, dass sich jemand hingesetzt und gesagt hat „Ich will jetzt ein böser, dummer Nazi werden“, sondern ich glaube, dass jeder Mensch zu einem erheblichen Teil das Produkt von Erfahrungen, Zwängen, Ängsten und seiner sozialen Bedingtheit geworden ist. Und nein, ich glaube nicht, dass sich das Problem der rassistisch und politisch motivierten Gewalt auflöst, wenn Nazis in einer Art sozialen Ghetto konzentriert und sich selbst überlassen werden, sondern ich glaube, dass es sich ganz im Gegenteil noch verschärfen wird. Von daher halte ich Zensur für falsch, und Auseinandersetzung für richtig. Ende meiner kurzen Standortbestimmung.

7 Antworten

  1. Reblogged this on monopoli und kommentierte:
    Sehr guter Beitrag, gruss vom Nachbar

    19. Oktober 2012 um 19:46

  2. Pingback: Der Alarmknopf-Jahresrückblick 2012 « Alarmknopf

  3. Denkakustiker

    „Ja, ich halte Nazis für Menschen, wenn sie auch auf einer unversöhnlichen Gegenposition zu allem stehen, wofür ich lebe. Und nein, ich glaube nicht, dass sich jemand hingesetzt und gesagt hat “Ich will jetzt ein böser, dummer Nazi werden”, sondern ich glaube, dass jeder Mensch zu einem erheblichen Teil das Produkt von Erfahrungen, Zwängen, Ängsten und seiner sozialen Bedingtheit geworden ist. Und nein, ich glaube nicht, dass sich das Problem der rassistisch und politisch motivierten Gewalt auflöst, wenn Nazis in einer Art sozialen Ghetto konzentriert und sich selbst überlassen werden, sondern ich glaube, dass es sich ganz im Gegenteil noch verschärfen wird.°

    Dem schließe ich mich wohlfühlend an ! 🙂

    Und gebe zu erkennen:

    Die reale Wahrheit hat unbekümmerten Bestand, während die Lüge um den Erhalt stets gepflegt und erweitert werden muss. Die individuelle Wahrheit liegt so dazwischen und bedarf deshalb oft der Korrektur.

    Denkakustiker

    18. November 2015 um 00:31

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