Sie reden vom Netz wie Blinde vom Licht

Nach Qualitätsjournalisten: Jetzt auch Qualitätsapotheker

Außenwerbung im Schaufenster einer Apotheke: Ein Mann hat ein Paket voller Medikamente ausgepackt und offenbar einen Löffel einer Zubereitung genommen, auf seinem Kopf ploppen lauter rote Pickel auf. Dazu der vorsätzlich angstausbreitende Text: Wer schützt sie vor den Wechselwirkungen Ihrer Internetbestellung? -- Gesundes Wissen. Apotheke -- Erste Wahl für Ihr Wohl: Ihre Apotheke vor Ort!

Eigentlich braucht es ja keinen Kommentar mehr, aber…

Wir lernen: Wenn man industriell hergestellte Arzneien von industrieller Qualität bei einem (natürlich nicht verbrecherischen) Online-Apotheker bestellt, und dieser die bestellten Päckchen aus dem Regal nimmt, dann ploppen rotjuckende Pickel auf der Glatze auf. Und wenn man industriell hergestellte Arzneien von industrieller Qualität beim Ladengeschäft eines Apotheker erwirbt, und dort eine PTA die bestellten Päckchen aus dem Regal nimmt, dann passiert das nicht.

Und vor allem lernen wir, was für eine Auffassung von der Intelligenz der Menschen jene Apotheker zu haben scheinen, die sich einem solchen Reklamehirnpflug anschließen und solche Plakate in ihr Schaufenster hängen. Jemanden, der mich so verachtet, würde ich meine Gesundheit jedenfalls nicht anvertrauen.

Und jedem, der jetzt „Beratung“ sagt, empfehle ich ein einfaches Experiment mit der nächsten Apotheke um die Ecke. Ein sehr gutes (im Sinne von: Wirksam und arm an Nebenwirkungen) Schmerzmittel ist Paracetamol, das man erfreulicherweise rezeptfrei in Apotheken erwerben kann. Es hat allerdings ein sehr ernstes Problem in Form einer sehr gefährlichen Nebenwirkung: Zusammen mit Alkohol ist Paracetamol in hohem (zuweilen sogar akut lebensbedrohlichem) Maße leberschädigend. Gehen sie bitte mit ein paar Klimpergroschen in der Tasche in die nächste Apotheke und kaufen sie dort eine 20er-Packung Paracetamol ratiopharm 500 mg! Und achten sie darauf, ob Apotheker oder PTA sie auf die sehr gefährliche Kombination von Paracetamol und Alkohol hinweisen — und nach Möglichkeit auch darauf, ob ihnen klar gesagt wird, dass Paracetamol nicht in Selbstmedikation und damit ohne Beteiligung eines Arztes über längere Zeiträume genommen werden soll, weil das eben auch mit ernsten Gefahren verbunden ist. Ich habe das jedenfalls noch nie erlebt.

Tatsächlich habe ich noch nicht ein einziges Mal auch nur die Rückfrage erlebt, welche Schmerzen ich damit behandeln will, so dass der Apotheker auch nur beurteilen könnte, ob es sich um eine gute Idee handelt, hierfür Paracetamol einzunehmen…

Der Verweis darauf, dass diese wichtige Information im Sieben-Punkt-Augenpulver des lustig gefalteten Beipackzettels erwähnt wird, ist invalide — denn diesen und inhaltlich genau den gleichen Beipackzettel hat auch das Medikament vom (natürlich nicht verbrecherischen) Online-Apotheker.

Es handelt sich bei dieser Reklameaktion von Apothekern nur um eine gezielte und überdem bemerkenswert dumm vorgetragene Erzeugung von irrationalen Ängsten. Eine… sagen wir einmal… ausgehängte Liste, woran man verbrecherische Internet-Apotheker häufig erkennen kann und eine regelmäßig gepflegte Website mit einer durchsuchbaren Liste krimineller „Apotheken“ wäre ja begrüßenswert, weil sie aufklärt und für den Arzneimittelkäufer Sicherheit schafft. Hier geht es ums genaue Gegenteil davon, an die Stelle von Aufklärung soll Angst und an die Stelle von Sicherheit große Verunsicherung treten. Wessen Interessen mit dieser verachtenswerten Angstmache vertreten werden, sollte jedem aufmerksamen Menschen durch eine ungefähr zehnsekündige Benutzung eines handelsüblichen Gehirnes klarwerden, und dabei wird auch im gleichen Zuge klar werden, dass es nicht die eigenen sind.

Eine Antwort

  1. Anonymous

    In diesem Kommentar wird übersehen, dass die rezeptfreie Abgabe von Arznei die_den Apotheker (häufiger jedoch die_den PTA) von der Haftbarkeit ihrer_seiner Beratung entbindet. Diese Haftbarkeit tritt jedoch wieder auf, wenn Wirkstoffe kombiniert werden – genau darauf rekurriert die abgebildete Reklame.

    Darüber hinaus obliegt den Apotheken die Funktion des Gatekeeping über die Arzneimitteldispersion – welche durch Versandapotheken aufgehoben wird, selbst wenn diese nur rezeptfreie Arznei vertreiben. Mit der Liberalisierung dieses Marktes wurde also die Verantwortlichkeit vom Anbieter_in an die_den Nachfrager_in übertragen.

    16. April 2015 um 11:36

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