Ende von XP bringt Bullshit hervor
Unter Programmierern galt Windows bis dahin wegen seines „Spaghetti-Codes“ als berüchtigtes Software-Flickwerk. Erst mit Windows XP wurde das besser. Diese Windows-Version verband erstmals die Stabilität der seit 1993 für professionelle Anwender konzipierten Windows-NT-Linie mit benutzerfreundlicher „Plug & Play“-Fähigkeit durch automatische Erkennung von Druckern und anderem Zubehör
Welt Online — Windows: Ende von XP macht Geldautomaten unsicher
Kommentar
Der gesamte, mutmaßlich aus diversen anderen Quellen wechselnder Qualität zusammengestellte Artikel von Ulrich Clauß — Politikredakteur der springerschen Welt, was im leistungsschutzrechtgeschützten „Qualitätsjournalismus“ offenbar völlig ausreichend ist, um einen Artikel über ein technisches Thema zu schreiben, von dem erkennbar keine vertiefte Fachkenntnis vorhanden ist — ist bescheiden. Er macht viele Worte zu der an sich sehr einfachen Tatsache, dass Microsoft ab dem 8. April 2014 den Support für Windows XP einstellen wird und dass dann keine Betriebssystemupdates mehr verteilt werden. Dies geht natürlich mit einem gewissen Sicherheitsrisiko einher.
Zunächst einmal zum eingangs exemplarisch zitierten Absatz nur das Gröbste in kurzen Worten:
- Der „Spaghetti-Code“ von Windows war unter Programmierern genau so bekannt wie… sagen wir mal… unter Philosophen oder Müllwerkern. Die Quelltexte wurden nicht veröffentlicht. Die Code-Qualität war und ist — im Gegensatz zu dieser sich der Wahrnehmung aufdrängenden unbefriedigenden Stabilität des damals sehr beliebten Aufsatzes auf MS/DOS — nicht beurteilbar.
- Die Kombination von Plug & Play mit der Windows-NT-Linie für professionelle Anwender fand nicht erstmals mit Windows XP statt, sondern mit Windows 2000. Die „Neuerung“ in Windows XP war es vielmehr, dass Microsoft nicht mehr eine instabile, für „einfache Anwender“ konzipierte Windows-Version als MS/DOS-Aufsatz vermarktete, wie dies bis Windows ME der Fall war, sondern seinen mittlerweile bewährten und reifen Windows-NT-Kern für alle vermarkteten Windows-Versionen verwendete.
- Dass Ulrich Clauß mit „Windows“ dasjenige „Windows“ meint, das im Wesentlichen ein grafischer Aufsatz auf MS/DOS war und nicht dasjenige „Windows“, das als „Windows NT“ bekannt wurde und heute als „Windows“ vermarktet wird, lässt sich nur mit Hintergrundwissen aus einem Kontext erschließen, den der Autor Ulrich Clauß in seinem ansonsten nicht gerade wortarmen Artikel nicht zu geben bereit oder imstande ist. Tatsächlich meinen diese beiden so gleich lautenden Namen zwei sehr verschiedene Produkte.
Oder zusammengefasst: Hier gibt jemand Halbverstandenes oder gar Unverstandenes wieder und schert sich nicht darum, dass der dabei entstehende Text für Leser objektiv wertlos ist.
Und das ist leider nicht auf den oben zitierten Absatz beschränkt.
Hier noch ein paar weitere geschmacklich minderwertige Rosinchen, herausgepickt aus einem Text, der Unwissen und Angst ausbreitet, ohne wirklich zu informieren.
Denn mit dem Auslaufen des Sicherheitssupports von Microsoft wird XP über Nacht zum unkalkulierbaren Sicherheitsrisiko. Vor dem „Wilden Westen für Cyber-Kriminelle“, „Russischem Roulette“ und einer „Zeitbombe“ warnen selbst seriöse Fachblätter, sollten Computer auch weiterhin mit XP betrieben werden.
Aus gutem Grund: Schon heute sind XP-Rechner die weltweit am meisten von Cyber-Attacken heimgesuchten Computersysteme
In der Tat aus gutem Grund, denn Windows XP wird nicht „über Nacht“ völlig unsicher, nachdem es jetzt ja folglich (wenigstens halbwegs) sicher ist. Es ist mit seinen damaligen (und damals durchaus brauchbaren) Sicherheitskonzepten einer organisierten Kriminalität ausgeliefert, die dreizehn Jahre lang nicht geschlafen hat. Auch mit aktuellen Updates ist Windows XP ein großes Sicherheitsrisiko, insbesondere, wenn es einen Zugang zum Internet hat.
Ein güldener Schwafelpunkt übrigens für den presse- und politikschwafelmodernen Hyperlativ-Präfix „cyber“ im Worte „Cyber-Attacken“. Kriminelle Angriffe auf Computer haben mit Kybernetik nur in einem skurillen Sinn des Wortes zu tun.
Werden die Sicherheitslücken nicht mehr repariert, wird der PC zu einem wahren Tummelfeld für Cyber-Kriminelle und Geheimdienste aller Herren Länder, die immerhin jetzt schon 13 Jahre lang Zeit hatten, Schwachstellen der ohnehin unzeitgemäßen Sicherheitsarchitektur von XP auszukundschaften
Mit Verlaub, Herr Clauß, sie können gar nicht genug angstvolle Worte machen, um darüber hinwegzutäuschen, dass ihre Botschaft in Wirklichkeit sehr kurz ist. Und ja, sie haben recht…
Denn dem Stand der Technik entspricht XP schon lange nicht mehr […]
…dass das alles keine Neuigkeit ist, sondern das Windows XP bereits jetzt ein gewisses Sicherheitsrisiko darstellt. Nur zu ihrem eigenen „über Nacht“ will es so gar nicht passen.
Und nun der Druck aufs Panikknöpfchen, denn jetzt geht es um Gott selbst, nämlich ums Geld:
Auch über 90 Prozent der in Deutschland installierten Geldautomaten funktionieren mit XP-Embedded-Software. Das gleiche gilt für die 2,2 Millionen Geldautomaten weltweit. Die Betreiber müssten nun die Versorgung mit Sicherheitsupdates über den 8. April hinaus mit einem „kostenpflichtigen, individuellen Supportvertrag“ sicherstellen, um ihre Systeme zu schützen, weil sie „massiv gefährdet“ seien, so das Bundesinnenministerium
Alle diese Geldautomaten sind allerdings hoffentlich vom Internet entkoppelt und können folglich nur über die vorgesehenen Bedienelemente angesprochen werden: Ein paar Tasten und ein Kartenleser. Dass die Innenministerien in der BRD gern einen Fön simulieren und technisch blinde Heißluft ausströmen, ist keine Neuigkeit und ändert an der wirklichen Gefahrenlage nicht viel. Es gibt in der Praxis einen erheblichen Unterschied zwischen einem voll aufgeplusterten Desktopcomputer mit installiertem Browser, Office-Paket, PDF-Reader, Mailprogramm und dergleichen, dessen Komplexität eine unüberschaubare Fülle von meist über das Internet vorgetragenen Angriffen ermöglicht und einem Gerät mit minimaler Installation, das nicht einmal einen Desktop startet und nur eine einzige Anwendung laufen lässt. Das soll nicht heißen, dass es nicht wünschenswert wäre, einen aktuellen Betriebssystemstand zu haben. Aber die Komplexität durchgeführbarer Angriffe ist nun einmal überschaubarer.
Allerdings: Eine Entkopplung vom Internet ist nicht ausreichend, sagt mir der Qualitätsjournalist in der Wiedergabe anderer Stimmen, und er hat sogar Recht damit:
„Der Angriff auf ein solches System muss nicht direkt aus dem Internet erfolgen“, sagt Sven Wiebusch, Senior IT-Security Consultant der SySS GmbH, einem marktführenden Sicherheitsdienstleister, im Gespräch mit der „Welt“ . Eine Angreifer-Ausbreitung über interne Netzkopplungen oder eine Kompromittierung über andere Schnittstellen durch physischen Direktzugriff (z. B. über Wartungszugänge) stelle ebenfalls ein nicht zu unterschätzendes Sicherheitsrisiko dar, sagt Wiebusch
Nun, um an einen Wartungszugang zu kommen, muss man im Allgemeinen das Gerät öffnen… und dagegen gibt es stabile Schränke mit dicken Wänden (die zusätzlich kameraüberwacht sind). Die stabilen Schränke muss es ja auch geben, schließlich liegen stapelweise die Banknoten darinnen. Sehr schön ist hier übrigens das Wort „Angreifer-Ausbreitung“ über interne Netzkopplungen, das nach einem Film wie „Tron“ klingt. Natürlich müssen die internenen Netzwerkverbindungen ebenfalls gesichert sein. Und das nicht erst, wenn „über Nacht“ Windows XP zu einem Sicherheitsrisiko wird, sondern schon immer. Das gleiche gilt für die gesamte Hardware. Ebenfalls schon immer. Wenn ein Angreifer Zugriff auf Hardware hat, ist der Angriff erleichtert. Die beste Software-Sicherung auf dem aktuellesten und sichersten Betriebssystem nützt nichts, wenn jemand zum Beispiel einfach eine Festplatte ausbauen oder austauschen kann. Oder, wenn es möglich ist, einen USB-Stick einzustecken und darauf hinterlegter Code automatisch beim Einstecken ausgeführt wird.
Wenn Hersteller von viel benutzten XP-spezifischen Zusatzprogrammen wie Flash, Java oder Virenschutzprogrammen diese für XP nicht mehr aktualisieren, vervielfacht sich die Zahl der Einfallstore für Schadsoftware noch einmal
Na, wenigstens das sollte auf Geldautomaten kein Problem darstellen. 😀
(Zugegeben, das war unfair, denn hier hat der Autor flatterleicht den Kontext gewechselt und ist bei Computern in Schulen, Behörden und im Deutschen Bundestag angekommen.)
Meine Empfehlung an Privatanwender, die einen alten, unter Windows XP laufenden PC herumstehen haben, der nicht mehr problemlos mit Windows 7 laufen würde und doch „zu schade zum Wegwerfen“ ist:
- Computer sind billig geworden. Ein für Windows 7 brauchbares Gerät lässt sich manchmal — da gehört freilich Glück dazu — als Gebrauchtcomputer für fünfzig Euro schnappen.
- Ein unter Windows XP laufender Computer, der nicht mit dem Internet verbunden ist und in dem nicht ständig USB-Geräte eingestöpselt werden, kann immer noch ein gutes Arbeits- und Gaming-Gerät sein und muss nicht gleich weggeworfen werden. Es empfiehlt sich, daran ein bisschen zu konfigurieren, so dass niemals Code auf USB-Sticks und eingelegten CDs automatisch im Hintergrund ausgeführt werden kann. Auf ein Antivirusprogramm — das sowieso nur Schlangenöl ist — kann dabei verzichtet werden, was den Rechner übrigens erheblich beschleunigen kann.
- Wenn der XP-Rechner doch noch „Internet machen“ soll, Firefox als Browser verwenden und die beiden wichtigsten Infektionswege blockieren, indem Adblock Edge und NoScript installiert werden. Dass nicht jeder Seite im Internet die Ausführung von Plugin-Code und JavaScript gestattet wird, und dass die Schadsoftware-Verbreitung über Ads unterbunden wird, sind die beiden wichtigsten Maßnahmen zur Erhöhung der Computersicherheit. Eine mögliche Ergänzung ist die Verwendung eines anderen PDF-Anzeigeprogrammes als dem Acrobat Reader mit seiner erschreckenden Sicherheitsgeschichte und eines anderen Office-Paketes als dem von Microsoft. Beides gibt es in frei und kostenlos. Zusammen mit etwas „gesunden Menschenverstand“ bei der Computernutzung machen diese Maßnahmen einen Virenscanner entbehrlich.
- Schließlich: Es gibt kostenlose und freie Betriebssystemalternativen. Für einen Nur-Anwender dürfte beinahe jede größere Linux-Distribution geeignet sein. Die Installation geht schnell, ist fast immer problemlos, und hinterher steht ein arbeitsfähiger Computer mit einem aktuellen Betriebssystem auf dem Tisch. Eine andere, viel zu wenig bekannte Alternative ist PC-BSD, wenn man sich nicht einer gewissen unixoiden Rauigkeit stört und die Hardware-Anforderungen erfüllt sind.
Ich empfehle XP-Nutzern erst mal die Scheunentore zu zu machen, bevor sie sich um die Mäuselöcher sorgen machen.
26. März 2014 um 13:29
Der Extended Support für Windows XP Embedded läuft übrigens noch bis Januar 2016.
http://support.microsoft.com/lifecycle/search/default.aspx?alpha=windows+xp
27. März 2014 um 19:14