Programmiersprache
„Frauen mit geringem Einkommen, die allein leben und über 70, 75 Jahre alt sind, kriegt man fast gar nicht ins Netz“, sagt der Heidelberger Psychologe und Altersforscher Michael Doh. Zu dieser persönlichen Barriere komme das Medium selbst: unhandlich, intuitiv nicht nutzbar und Englisch als Programmiersprache. In Deutschland sei es zudem – anders als in Skandinavien – versäumt worden, ältere Beschäftigte weiterzubilden, als das Internet 1990 aufkam.
Computerwoche — Angst vorm Internet: „Familie ist der große Türöffner“
Ich gratuliere der Computerwoche — die ja immerhin so tut, als sei sie so etwas wie eine Fachzeitschrift — zur Entdeckung der mir bislang völlig unbekannten Programmiersprache namens Englisch — nebst der recht überraschenden Einsicht, dass dieses Internet, um das es hier geht, für die üblichen Nutzungsformen einer eigenen Programmierung bedarf.
Wie die Fachzeitschrift Computerwoche auf die nicht weiter erläuterte Idee gekommen ist, dass dieses Internet 1990 aufkam, ist ebenfalls rätselhaft. Dass jemand das ARPANET der späten Sechziger Jahre nicht als Internet bezeichen möchte, kann ich ja noch verstehen. Die Einführung des Protokolls TCP/IP am 1. Januar 1983 hat allerdings eine Struktur hervorgebracht, die dem heutigen Internet entspricht — dafür steht übrigens auch dieses IP im Namen, das schnell zur Bezeichnung des entstandenen „Netzes der Netze“ wurde. Es trifft zwar zu, dass Anfang der Neunziger Jahre das bestehende Netzwerk für kommerzielle Anwendungen geöffnet wurde und damit erstmals über die Universitäten hinaus verfügbar war, aber davon dürfte die Mehrzahl der jüngeren und älteren Beschäftigten in Deutschland kaum etwas mitbekommen haben. Für die meisten Menschen kam „das Internet“ auf, als es benutzerfreundliche, graphische Browser für das World Wide Web gab — ab 1993 den NCSA Mosaic, ab 1994 den als kostenlose Beta-Version veröffentlichten¹ Mosaic Netscape (dessen damals recht revolutionäre Bedienkonzepte die Benutzerschnittstelle eines Browsers bis heute ein bisschen mitprägen). Dieses „die Meisten“ umfasst auch Menschen mit Geschäftsideen. Mir fehlen genaue Daten, aber es würde mich sehr wundern, wenn 1994 nur ein Zehntel der Beschäftigten im betrieblichen Kontext auch nur ein Wort wie „E-Mail“ gehört hätte.
Ach ja, und eines noch, und das ist gar nicht so unwichtig: Übrigens kriegt man 75jährige, alleinstehende Frauen mit geringem Einkommen nicht nur schwer ins Netz, man kriegt sie auch nur schwer dazu, andere kostenverursachenden Dinge ohne unmittelbar erkennbaren Nutzwert zu tun. Das liegt nicht am Alter, sondern am Einkommen. Der Zugang zum Internet kostet Geld, und so ein Computer muss auch noch angeschafft werden, damit man etwas von diesem Internet hat. Wenn man nicht zu den Menschen mit außergewöhlichen außersinnlichen Fähigkeiten gehört, die noch nie einen Computer gesehen haben, ihn einschalten und sofort loslegen können, kommt ein Lernaufwand dazu, der ebenfalls oft Kosten verursacht. Viel Geld, das weggeht, bevor man etwas von diesem modernen Internet sieht, ohne das man sich bislang auch ganz gut durchs Leben geschlagen hat. Die meisten 75jährigen Frauen ohne Vergangenheit mit Ingenieursausbildung bauen sich auch nicht bei Geldmangel aus Müll einen leidlich arbeitsfähigen Computer zusammen, wie ich das manchmal zu tun pflegte… 😉
Aber „Armut“ ist ja niemals der Grund in deutschsprachiger, qualitätsjournalistischer Presse. Das Wort darf — man möchte fast glauben, eine Bundesschrifttumskammer habe das so angeordnet — auch niemals in einem qualitätsjournalistischen Artikel erwähnt werden. „Geringes Einkommen“ klingt doch gleich nebliger…
¹Hui, ein Mirror der alten Website der Mosaic Communications Corporation, die später als „Netscape“ bekannt werden sollte! Manchmal ist das Web wunderbar!
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