Sie reden vom Netz wie Blinde vom Licht

Zeitung = Lesen, Internet = Analphabetismus

Ich halte die Printmedien für sehr wichtig. Lesen können ist noch einmal etwas anderes, als im Internet zu sein

Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin

Kurzkommentar

Ich weiß ja nicht, ob die Parallelgesellschaft der classe politique ein anderes Internet hat, aber das mir jeden Tag vorliegende Internet ist zu gefühlten 95 Prozent ausschließlich Menschen zugänglich, die auch lesen können. Offenbar meint die werte Frau Kanzlerin, dass es sich nur um Lesen handelt, wenn man schwarze Kringel vor sich liegen hat, die industriell auf Cellulose gestempelt wurden — und nicht etwa, dass man dazu imstande ist, den Sinngehalt einer textuellen Mitteilung durch Aufmerksamkeit und geistige Tätigkeit aufzunehmen und sich davon zu Gedanken anregen zu lassen. Letztgenannte Tätigkeit ist übrigens ziemlich unabhängig davon, ob sich kleine Kringel auf Papier oder einen Bildschirm befinden, oder ob gar die Botschaft lediglich hörbar und bildhaft sichtbar ist. Aber nein, darum gehts der Frau Kanzlerin nicht, diese entledigt sich hier nur der Aufgabe, die Presse — eine Kommunikationform, die übrigens wegen ihres hohen Aufwandes nur von etwa zwei Handvoll Milliardären aktiv publizierend betrieben wird und vom Rest der Bevölkerung nur rezipiert werden kann, die also zutiefst antidemokratisch ist und tendenziell den Interessen des größten Teiles der Bevölkerung fern steht — als eine ganz großartige zivilisatorische Errungenschaft hinzustellen, die jedem technischen und gesellschaftlichen Fortschritt vorzuziehen ist. Und das Internet wird im Zuge dieser Absicht kurzerhand beinahe wie das Gegenteil des Lesens hingestellt; der Nutzer und Mitgestalter des deutschsprachigen Internet darin mitschwingend als funktionaler Analphabet und damit als kulturloser Mensch in einer auf Literalität beruhenden Kultur verunglimpft. Von einer Frau, die mit diesen Worten ihren schmerzhaften technischen und sozialen Alphabetismus belegt — dessen erneute Sichtbarkeit allerdings nur einen geringen Neuigkeitswert hat.

Hätte Frau Merkel eine vergleichbare „Argumentation“ gewählt, um die Vorzüge der Kutsche gegenüber einem Auto zu benennen, dann hätte sie übrigens gesagt: „In einem Auto zu sitzen, heißt noch lange nicht, dass man sich auch fortbewegen könne. Deshalb sind Pferde wichtig“.

6 Antworten

  1. „technischen und sozialen Alphabetismus“ – i guess you mean „Analphabetismus“

    Schreiben im Internet. 😉

    24. November 2012 um 17:08

    • Wenn ich Fefe wäre, würde ich ja sagen: Damit wollte ich nur die Medienkompetenz meiner Leser schulen. 😀

      Aber zugegeben, das war blöd und bullshittig. Es bleibt zu meiner eigenen Schande so stehen.

      26. November 2012 um 08:53

  2. Weiß auf dunkelbunt liest sich ekelhaft – und danach flimmern die Augen.

    24. November 2012 um 17:43

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