Grüne Streifenpolizisten im Internet
Die schon vom Konzept her etwas dämliche Idee, dass Polizeibeamte im Internet „Steife gehen“ sollen, gibt es auch bei den Grünen, etwa bei Jan Philipp Albrecht, Abgeordneter für Bündnis 90 / Die Grünen im Europäischen Parlamente — und übrigens gegenwärtig jüngster deutscher Abgeordenter. Der tiefere Grund für die nachfolgend zitierten Worte kann also nicht in einer altersbedingten Verkalkung liegen, sondern nur im Fachidiotentum und im welt- und lebensfremden Betrieb der Parlamente:
So wie Polizisten früher in die Fußgängerzonen gegangen sind, um mit Menschen zu sprechen und Zeugen zu befragen, sollten sie auch lernen, sich im Internet zu bewegen
Der Unterschied zwischen einem räumlich begrenzten Revier mit seinem überschaubaren sozialen und kulturellen Gefüge, das ein Polizeibeamter kennenlernen kann und in dem er Streife gehen kann, und dem ortstranszendenten und sozial wie kulturell vollständig inhomogenen Internet ist Herrn Albrecht offenbar noch nicht aufgefallen; dies mutmaßlich aus Mangel an eigener Internet-Erfahrung. (Von „Kompetenz“ mag ich hier gar nicht mehr sprechen.) Auch fällt Herr Albrecht, der Polizeiarbeit vermutlich nur aus dritter Hand kennengelernt hat, nicht auf, wie lächerlich die Vorstellung einer derartigen „Patrouille“ ist, da ihr jedes weitere Mittel fehlt. Was ein Streifenpolizist tut, wenn ihm etwas auffällt, ist ja noch einigermaßen klar. Wie sollte dies in eine „Internetstreife“ übertragen werden? Soll der Internetstreifenpolizist die Internetverbindung anhalten und verdächtige Personen auffordern, ihren Internetausweis vorzulegen (dabei in Härtefällen mit einer leichten Geste klarmachen, dass er einen Schlagstock hat), um gegebenenfalls noch eine Festplattenkontrolle anzuschließen — und wenn er nichts gefunden hat, darf man weitersurfen?
Ach nee, das stellt er sich ein bisschen anders vor:
Der Beamte an sich hat eine befriedende und disziplinierende Wirkung
Ich kann förmlich spüren, wie die gesamte Internetkriminalität bei Albrechts pädagogisch wertvoller Vorstellung von Polizeiarbeit erzittert und mutlos wird.
Aber nein, so stellt sich Jan Philipp Albrecht — der übrigens einen Mastergrad in europäischer Rechtsinformatik trägt — das doch nicht vor:
„Man sollte nicht die Black-Box Internet generell überwachen und Unmengen an Daten anhäufen“, sagte Albrecht. „Es ist auch überhaupt nicht effektiv, dann aus dem großen Haufen die benötigten Informationen herauszusuchen.“ Stattdessen sollten Polizisten gezielt im Internet auffälligem Verhalten nachgehen. „In sozialen Netzwerken, in Foren, auf Homepages.“
Wie das „auffällige Verhalten“ in der riesigen „schwarzen Box“ Internet ohne mechanische und allgemeine Überwachung gefunden werden soll, damit die Polizeien weitere Untersuchungen anstellen können, sagt Herr Albrecht allerdings nicht — genau so wenig übrigens, wie er sagt, was „auffälliges Verhalten“ sein soll. Auf der Straße reicht schon nichtkonforme Kleidung oder gar ein nächtlicher Spaziergang hin, um immer wieder einmal von erst langsam vorbeifahrenden und schließlich anhaltenden Polizeibeamten aufgehalten und kontrolliert zu werden, weil man im institutionalisierten Auge des Spießbürgers verdächtig geworden ist. Sollen die Beamten jeden Tag tausende von Websites ansurfen und sich dabei zu erkennen geben, etwa indem sie in eventuell vorhandene Gästebücher und sonstige Kommentarmöglichkeiten hineinschreiben, dass die Polizei da war?
Und vor allem: Haben sie nichts Besseres zu tun, als sich den ganzen Tag lang mit diesem Wust von (beinahe immer völlig legalen) Banalitäten herumzuschlagen, um ganz allgemein und bei jedem „eine befriedende und disziplinierende Wirkung“ (in deutlicherer Sprache: einen einschüchternden Eindruck) zu entfalten? Zum Beispiel als Gehilfen der Staatsanwaltschaften Polizeiarbeit zu leisten? Dabei hülfe es ihnen vielleicht, wenn zur Anzeige gebrachte Formen der Internetkriminalität wie etwa organisiert kriminelle Abzockmodelle mit Wucherpreisen für eine (angeblich kostenlose) Nullleistung nicht regelmäßig zu einer Einstellung der Ermittlungen führten, obwohl Millionen von Menschen davon betroffen sind, sondern stattdessen so verfolgt würden, wie das in anderen europäischen Ländern üblich ist.
Aber wie soll jemand auf solche Ideen kommen, wenn ihm sowohl die Polizeiarbeit als auch das Internet und seine existierenden Kriminalitätsformen dermaßen fremd sind wie Jan Philipp Albrecht. Leider wird er von seiner weitgehenden Unwissenheit nicht am Reden gehindert, und so redet er eben vom Internet wie ein Blinder vom… ach, so heißt das Blog schon.
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