Heise Online stiehlt saudoofe DPA-Meldung
Hacker stehlen Zugangsdaten und Passwörter von SPD-Computer
Hacker sind in das Computernetz der SPD-Parteizentrale in Berlin eingedrungen und haben Zugangsdaten samt Passwörtern von Nutzern erbeutet. Zu dem Angriff kam es bereits im April, der Server wurde danach sofort vom Netz genommen, sagte ein Parteisprecher am Sonntag und bestätigte damit einen Bericht des Magazins Der Spiegel. Demnach wurden möglicherweise mindestens 1900 Zugangsdaten gestohlen und in Auszügen auf einer Internetplattform veröffentlicht. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittele wegen des „Ausspähens von Daten“. Unter Pseudonym habe der Täter im Kurznachrichtendienst Twitter schon vor Wochen in englischer Sprache damit geprahlt, die „Social Democratic Party of Germany“ gehackt zu haben. „Wie der Angriff erfolgt ist und welche Auswirkungen er hatte, ist Teil der Ermittlungen“, sagte der SPD-Sprecher.
Heise Online: Hacker stehlen Zugangsdaten und Passwörter von SPD-Computer
Die Meldung wurde von der DPA übernommen
Ach, dass ich das nochmal erleben darf…
…einen Heise-Artikel so zerpflücken zu können, dass fast nichts mehr von ihm übrig bleibt. Aber den hat Heise Online ja nicht selbst geschrieben, sondern von der DPA übernommen, einschließlich aller idiotischen Ausdrücke und Fehler. Hier nur das Gröbste:
- Es waren keine Hacker, sondern Cracker. Das sieht man an der Tätigkeit, die sie ausübten. Hacker schreiben Software und begeistern sich für Technik (und können dabei durchaus auch mal einen Angriff auf ein Datenverarbeitungssystem machen), Cracker zerstören in erster Linie.
- „Zugangsdaten samt Passwörtern von Nutzern“ ist eine Formulierung von so barocklächerlich ausgefranster Überflüssigkeit, dass man geradezu jemanden vor sich sieht, der für die bloße Menge seines Textausstoßes bezahlt wird und deshalb jede Chance nutzt, die Textmenge zu vergrößern. Leider geschah das hier ohne den Schimmer einer Ahnung von der Materie, und so hat sich der unbekannte DPA-Autor (oder Praktikant) nicht einen Moment lang gefragt, was eigentlich Zugangsdaten ohne Passwörter für einen Nutzen haben sollten und — noch lustiger — was eigentlich Zugangsdaten wären, die nicht einem Nutzer den Zugang ermöglichen. Hätte er doch nur „Zugangsdaten“ geschrieben (und vielleicht noch in Klammern: Kombinationen aus Anmeldenamen und Passwort)…
- „[…] mindestens 1900 Zugangsdaten gestohlen“ ist typischer Pressedummsprech, den man sonst eher selten bei Heise liest. Natürlich wurde gar nichts gestohlen, es ist alles noch an seinem Platze. Sie wurden einfach nur kopiert, und dadurch, dass sie nicht mehr geheim sind, haben sie ihre vorherige Funktion verloren, einen Nutzer zuverlässig gegenüber einem Datenverarbeitungssystem zu authentifizieren. Mit Diebstahl hat das so wenig zu tun wie die Übernahme des Textes einer schwachsinnigen DPA-Meldung etwas mit Journalismus zu tun hat.
- Klar, im Internet wurden sie veröffentlicht. Einen Link kann die Contentindustrie nur dann setzen, wenn sie als redaktionelle Artikel getarnte Schleichwerbung für irgendeinen Bullshit im Web macht, aber offenbar nie, um interessierten Lesern die Quellen aufzuschließen. Was habe ich mit diesem Stil schon für einen „Spaß“ gehabt!
- Und was für ein pöser Täter das doch ist! Der tritt unter einem Pseudonym bei Twitter auf und prahlt. Das ist ja fast so ungewöhnlich wie der morgendliche Sonnenaufgang, es nutzt ja nur (beinahe) jeder auf Twitter Pseudonyme. Und manch einer prahlt dort auch mit Dingen, mit denen er selbst gar nicht viel zu tun hat…
- „Wie der Angriff erfolgt ist und welche Auswirkungen er hatte, ist Teil der Ermittlungen“ — Was der namenlose SPD-Sprecher da über einen vor mindestens zwanzig Tagen (im April) geschehenen Angriff sagt, übersetzt sich für einen richtigen Journalisten folgendermaßen ins Deutsche: Die SPD hat keinen kompetenten Administrator, der sofort nach Entdeckung des Angriffs alles getan hat, um die Methode des Angreifers zu verstehen. Um das besser zu vertuschen, dass sie kein Geld für einen Fachmann ausgeben will, lässt sie lieber einen Flachmann ans Mikrofon, der von laufenden Ermittlungen faselt. Ob die Sicherheitslücke entdeckt und nach bestem Wissen und Gewissen geflickt wurde, interessiert ja keinen Menschen.
So viel nur zum Gröbsten. Das ist nicht alles. Es ist dennoch in jedem nichttrivalen Satz eine sachliche Schwäche des Ausdrucks, ein Mangel an recherchierenden und Informationen aufschließenden Journalismus oder gar ein grober propagandistischer Sprachgebrauch.
Heise Online! Hört doch bitte damit auf, DPA-Meldungen aus dem euch gelieferten NITF-Feed zu stehlen! (Hier verwende ich nur die von der DPA selbst gepflegte Sprache für die Anfertigung einer Kopie.) Sie sind minderqualitativ und reißen euren an sich guten fachjournalistischen Internetauftritt in die Scheiße. Überlasst das idiotische Halbwissen und die subtil verabreichte Propaganda (in den Worten „stehlen“ und „Hacker“) bitte einfach den anderen „Qualitätsjournalisten“ da draußen und besinnt euch auf wirkliche Qualität!
Nachtrag 15.10 Uhr: Auch Golem schreibt die Agenturmeldung ab, hat aber wenigstens das saudoofe unsägliche Propagandaverb „stehlen“ durch ein sachlich besser passendes „erbeuten“ ersetzt. Trotz dieser minimalen Überarbeitung und der Verwendung einer längeren Artikelversion mit deutlich größerem Informationsgehalt aus dem NITF-Import sind die sonstigen Schwächen genau die gleichen wie Heise-Artikel. Nur der ranzige, nichtssagende Spruch des namenlosen SPD-Sprechers sollte auf Golem nicht vor einer erheiterten Öffentlichkeit ausgebreitet werden.
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