Sie reden vom Netz wie Blinde vom Licht

Facebook, Twitter und Google und so…

Was Sie in Facebook einmal als Daten oder Fotos hinterlegen, wird unter Umständen nie vergessen. Wenn diese jungen Menschen, die heute so für die Freiheit im Netz schwärmen, sich mit 30 für einen Job bewerben, könnte sie das erheblich beschweren. Heute wird jeder Bewerber gegoogelt.

Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestage, im Interview mit dem Tagesspiegel

Kommentar

Nun, Herr Kauder, sie reden… ach, so heißt ja das Blog schon.

Also zunächst einmal das Richtige und Wahre aus ihren Worten. Ja, der Umgang vieler — keineswegs nur junger Menschen — mit den so genannten „social networks“ ist unreflektiert und unreif. Die langfristigen Folgen der unvergänglichen Datenspur im Internet und der Entblößung vor datensammelnden Unternehmen mit zurzeit eher fragwürdigem Geschäftsmodell für die eigene Lebensplanung sind in der Tat für viele eine so abstrakte Angelegenheit, dass die damit verbundenen möglichen Probleme angesichts der kurzfristigen Freude am Kommunizieren vollständig verdrängt werden.

Das aber, Herr Kauder, hat nichts mit Google oder einer anderen allgemeinen Suchmaschine für das World Wide Web zu tun. Und übrigens auch nichts mit Facebook, mit Twitter oder mit dem von ihnen nicht genannten Google Plus.

Erstens, Herr Kauder — und das mag sie in ihrer Netzblindheit vielleicht überraschen — sind mit Google auch Inhalte auffindbar, die gar nichts mit dem Web 2.0 zu tun haben. Google ist nämlich eine allgemeine Suchmaschine für das World Wide Web. Wer Google benutzt, findet damit offen zugängliche Inhalte im World Wide Web. Dieses ist deutlich größer als Facebook, Twitter, Google Plus und Konsorten. Zum Beispiel ist die von ein paar Werbern für sie gestaltete Homepage dabei, und zwar in Google weit vorne, wenn man ihren Namen eingibt. Das entspricht übrigens dem, was die meisten Menschen wollen, wenn sie Google verwenden: Eine Auflistung von Suchergebnissen nach einer für die Mehrzahl der Menschen nützlichen Bewertung ihrer Relevanz.

Zweitens, Herr Kauder, findet Google — wie eben schon benannt — offen zugängliche Inhalte. Also alles, was so veröffentlicht wurde, dass jeder am Internet Teil habende Mensch lesend darauf zugreifen kann. (So etwas wie dieses Blog zum Beispiel.) Vermutlich finden sie es auch überraschend, Herr Kauder, dass es bei Facebook, Google Plus und Twitter — und darüber hinaus bei weniger bekannten Diensten wie Diaspora — möglich ist, seine Statusmeldungen und Kurztexte so zu veröffentlichen, dass nicht jeder Mensch darauf zugreifen kann, sondern nur ein ausgewählter Personenkreis. In diesem Fall weiß auch Google nichts von den Inhalten, weil es nicht darauf zugreifen kann. Das ist eine völlig sinnvolle Möglichkeit, die übrigens auch benutzt wird. Die Probleme mit dem Web 2.0 haben auch nichts mit Google zu tun, sondern mit den Anbietern derartiger Websites; dort fließt in einem ständig wachsenden Datenbestand ein gewisser Teil sehr persönlicher Kommunikation zusammen und kann im Rahmen eines kommenden Geschäftsmodelles beliebig ausgewertet und monetarisiert werden. Ich empfinde eine Kommunikation, in der jedes Miteinander von Menschen in einen sozial optimierten Geschäftsvorgang verwandelt wird, als beschädigt und ausgesprochen kalt. Das ist übrigens der Grund, weshalb ich Facebook nicht nutze.

Drittens, Herr Kauder, haben viele Menschen derartige Probleme „auf dem Schirm“ und verwenden gewisse Dienste im Internet pseudonym oder anonym, um sich vor langfristigen Folgen zu schützen, selbst wenn sie dabei „öffentlich“ auftreten. Es ist übrigens ihr Kollege, der Herr Innenminister Hans-Peter Friedrich, der der Meinung ist, dass die Möglichkeit dieser weisen Nutzungsform abgeschafft werden soll — und darin weist er eine gewisse Nähe zur Regierung der Volksrepublik China auf. Wenn sie sich wirklich Sorgen um den persönlichen Schutz der Internet-Nutzer machten, sollten sie ihrem Kollegen bei solchen Wünschen offen und deutlich widersprechen. Dies um so mehr, als dass seine Äußerungen mit einem zuweilen beträchtlichen Realitätsverlust einhergehen.

Viertens, Herr Kauder, finde ich es beachtenswert — also wert, dass man es beachtet — dass sie den Begriff der Freiheit in einem Interview mit einer bundesdeutschen Zeitung mindestens im Zusammenhang des Internet offen als eine Schwärmerei bezeichnen. Ich finde, dass diese Bezeichnung sich prächtig in die netzpolitischen Vorstellungen aus ihrer Fraktion einfügt, die nicht nur bei mir den Anschein erwecken, dass sie das Internet mit seinen gegenwärtig bestehenden Freiräumen für Menschen nur deshalb bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit als „rechtsfreien Raum“ bezeichnen, um es mit dem Hebel derartiger Agitation in einen bürgerrechtsfreien Raum umzugestalten, ohne dass sich aus der so einzuschränkenden Bevölkerung nennenswerter Widerstand gegen so ein Unterfangen formiert.

Fünftens, Herr Kauder, weiß ich auch ohne Google oder eine andere klassische Suchmaschine, dass ihre Website seit mindenstens dem 31. März 2001 existiert und habe die Möglichkeit, auf viele ihrer früheren Äußerungen zuzugreifen; auch auf solche, die sie mittlerweile schon längst von ihrer Website entfernt haben. Die Tatsache, dass Inhalte langfristig im Internet zur Verfügung stehen, hat nämlich gar nichts mit Google, Facebook oder Twitter zu tun. Sie liegt darin begründet, dass Computer „Kopiermaschinen“ sind und dass das Internet ein Kopieren über die Grenzen eines einzelnen Rechners hinaus ermöglicht. Übrigens verfüge ich hier auch über Archive längst nicht mehr existierender Websites, die zu ihrer Zeit nicht vom Internet Archive archiviert wurden und die ich bei aktuellem Interesse auch weitergebe. Darunter sind auch Sites, die nicht öffentlich zugänglich waren, die ich aber mit meinen persönlichen Zugriffsrechten archiviert habe, um sie in Zukunft unter keinen Umständen zu verlieren. Kopieren ist eine natürliche Nutzung der Technik von IT-Anlagen und -Netzwerken.

Kurz zusammengefasst, Herr Kauder: Sie reden wie ein Mensch, der nicht die geringste Ahnung von dem hat, worüber er redet; sie greifen sich dabei ein paar Schlagwörter und Firmierungen auf, die eine gewisse Popularität haben, um eine möglichst große Portion Angst, Verunsicherung und Zweifel zu streuen. Es bedarf keines großen Wissens über das Internet, damit einem auffällt, dass ihre Worte beim Daraufherumklopfen recht hohl klingen, weil sie frei von jeder Substanz sind. Beinahe jeder durchschnittlich gebildete Mensch unter 25 Jahren wird ohne größere Anstrengung bemerken, dass sie vom Internet so sprechen, wie ein Blinder von Lichte spricht. Ich kenne nur wenige Beispiele für Menschen, die dermaßen dumm klingen wie sie in der oben zitierten Einlassung klangen — eigentlich fallen mir da nur noch Esoteriker ein, die über die „ganzheitliche“ Behandlung von Krankheiten sprechen. Diese nehmen es übrigens auch in Kauf, dass bei ihrer „Behandlung“ etwas stirbt…

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s