Die Zukunft des Fernsehens
Die Elektronikmesse IFA feiert in diesem Jahr einen Größenrekord: Auf 140.200 Quadratmetern präsentieren sich mehr als 1300 Aussteller […]
Trends sind nach Angaben der Veranstalter vor allem […] und Fernsehgeräte, die sich ans Internet anschließen lassen
AFP: Berliner Elektronikmesse IFA dieses Jahr groß wie nie
Ein etwas längerer Kommentar
An diesem Stück Journalismus der Agence France-Presse, das sich die Macher so genannter „Qualitätsmedien“ natürlich gern als simulierten redaktionellen Inhalt in ihre tägliche Werke zwischen die Reklame stempeln, entzückt nicht nur, dass man es gar nicht von einer Reklame für die IFA 2011 unterscheiden kann.
Nein, es entzückt auch, dass es in diesem Jahr einen „Trend“ gibt.
Zwei technisch und soziologisch vollständig inkompatible Medien — der inhärent zentralistische, passiv genossene Fernsehrundfunk und das strukturell dezentrale, aktiv mitgestaltete Internet — sollen also zusammenwachsen. Das ist ein toller Trend, bei dem man doch gleich viel lieber die „Rundfunkgebühr“ dafür zahlt, dass man über eine Datenverarbeitungsanlage verfügt.
Fragt sich nur eins bei diesem „Trend“: Wie sahen eigentlich die „Trends“ in der Vergangenheit aus? Mal ein bisschen googlen.
2010 gab es zum Beispiel diesen tollen „Trend“:
IFA 2010: Rückblick, Durchblick, Ausblick
Internet im TV: Google webisiert das Fernsehen[…] Nun aber haben die TV-Produzenten das Problem gelöst: Sie nutzen das Web, um noch mehr Inhalte an den Sendern vorbei zum TV zu liefern, nutzen Apps für Zusatz-Informationen und machen den Zuschauer unabhängig von den Sendezeiten der TV-Stationen
[…] Google plant für das Fernsehen eine ähnliche Revolution wie im Internet: Alle Inhalte unter einer Bedienoberfläche, auffindbar gemacht von Google. Die Sendezeit von „Marienhof“, „Tagesschau“ oder „24“ – egal […]
Das „Hybrid Broadcast Broadband TV“ ist die um Internet-Funktionen angereicherte Version des alten Videotextes […]
Zugriff auf Mediatheken, Video-Seiten wie YouTube und Webseiten wie Wikipedia ermöglicht eine völlig andere Form der TV-Unterhaltung […]
Oder 2009, da gab es folgenden tollen „Trend“:
IFA 2009: Die Trends der Funkausstellung
Dass das Internet in die Fernseher wandert, ist nur einer der IFA-Trends 2009 […]
Internetfernsehen (IPTV) war 2008 eines der Top-Themen in der Technikwelt: Gemeint war damit die Übertragung von Fernsehen ins Internet […] konzentrieren sich die Hersteller nun darauf, das Internet in den Fernseher zu locken und die Konsumenten nicht nur mit tollen Bildern, sondern auch mit allerlei Multimedia-Anwendungen aus dem Web zu ködern
Huch, das war 2008 auch schon ein Trend? Oh ja, in der Tat:
Das Internet erobert den Fernseher
IPTV ist noch immer auf dem Weg, sich einen Weg zum Massenmarkt zu erschließen […]
Tja, scheint ja schon ein paar Jährchen auf dem Weg zu sein. Denn auch 2007 gab es diesen famosen Trend zum Fernsehen der Zukunft:
IFA 2007: Das Fernsehen der Zukunft
Einer der Trends der diesjährigen Funkausstellung ist hochauflösendes Fernsehen, am besten via Internet. Bereits im letzten Jahr startete das Angebot „T-Home“ der Deutschen Telekom. Heute gab der Telekommunikationskonzern zusammen mit Microsoft einen Blick auf die weitere Zukunft des Internetfernsehens.
[…] IPTV ist erstmal reguläres Fernsehen. Alle Programme, die es in Deutschland gibt, können genutzt werden und auch alle Zusatzfeatures wie zum Beispiel Videotext. Aber die Plattform bietet durch die Rückkanalfähigkeit Individualisierbarkeit und Personalifizierbarkeit […]
Genau dieses Angebot sei nun richtig reif, betonen alle anwesenden Sprecher
Aber so was von reif! Schade eigentlich, dass es sich nicht verkauft hat und dass Internet-Nutzer sich nicht mit den Formen der Interaktivität begnügen wollen, die ihnen von einem zentralen Medienbetreiber gnädig (und kostenpflichtig) eingeräumt werden.
Das war 2007 übrigens keine Neuigkeit, denn schon 2006 bekamen wir von der dpa über den zentralistischen Medienapparat verklickert
Hintergrund: Internet-Fernsehen
Bei IPTV (Internet Protocol Television) werden Fernsehbilder über das Internet übertragen.
Der Kunde benötigt für Fernsehen über das Internet ein spezielles Empfangsgerät […], um die Signale für sein Fernsehgerät umzuwandeln.
[…] Als weiteren Vorteil betrachten die Anbieter „Video-on-Demand“, den Abruf von Filmen. Wer also beispielsweise den „Tatort“ am Sonntag verpasst, könnte ihn eventuell zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt ansehen
Für letzteren Anwendungsfall kennt übrigens jeder intensive Internetnutzer so etwas wie Filesharing — was bedauerlicherweise in dieser Anwendung kriminalisiert ist, obwohl es die einzige Form des Internet-Fernsehens ist, die man wirklich als einen „Trend“ bezeichnen könnte. Wer allerdings erst einmal Filesharing kennengelernt hat und zudem auch eine andere Sprache als Deutsch beherrscht, bemerkt recht schnell, wie minderqualitativ und ungenießbar beinahe alle Produktionen im deutschen Fernsehen sind und kann schon nach kurzer Zeit völlig darauf verzichten. Im Gegensatz zu den Beglückungsideen unserer Contentindustrie kennt der Datenverkehr im Internet ja keine Staatsgrenzen. Ach ja!
Da hilft es auch nicht, dass man den Menschen auch 2005 schon in die Birne hämmern wollte, wie die Zukunft des Fernsehens aussieht:
DSL-Fernsehen: TV aus der Telefonbuchse
Bald sollen Fernsehen, Internet und Telefongespräche über eine Leitung ins Haus kommen. Im Ausland ist dies längst alltäglich. [sic! Das war im Sommer 2005!]
„Technisch ist es längst möglich, Telefon, Internet und Fernsehen über eine Leitung zu liefern“, erklärt Philipp Geiger von der Solon Management Consulting aus München […]
„Wir haben dadurch die Chance, nicht nur die Kommunikationsbudgets, sondern auch die Unterhaltungsbudgets der Haushalte abzugreifen“, hofft Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke.
Die TV-Zukunft ist im Ausland längst Realität. In Japan lassen Hunderttausende ihren Fernsehapparat links liegen, um direkt im Internet populäre Seifenopern aus Korea zu verfolgen. In Italien empfangen viele Haushalte TV-Programme schon seit 2003 per DSL-Anschluss.
Tja, in diesem Ausland, also in dieser Nicht-Bundesrepublik-Deutschland, wird die Politik ja auch nicht in der Lobby des Reichstages von einer monströs gewordenen Contentindustrie gemacht, die durch das Internet ihr bisheriges Monopol dahinschwinden sieht. Da gibt es keinen Gesetz gewordenen Zwang für quasi-staatliche Rundfunkanstalten, ihre kostenlos im Internet verfügbaren und von der Allgemeinheit mit Steuern und Gebühren bezahlten Inhalte zu „depublizieren“, damit die Contentindustrie ein mediales Alleinstellungsmerkmal hat, mit dem sie ihr Geschäft machen kann. Menschen in Großbritannien können sich selbstverständlich auf der Website der BBC in hoher Qualität die Produktionen anschauen, wann immer sie die Sendungen sehen wollen. Ja, so sieht es in dem Großbritannien aus, das immer einen besonders gehobenen Wert auf wirtschaftsfreundliche Politik gelegt hat. Nur als ein Beispiel.
Während in der Bundesrepublik seit vielen Jahren jedes Jahr zur IFA in einem bescheuerten und von allen zentralen Medien wiedergekäuten Ritual davon schwadroniert wird, dass das gute alte Glotzen doch seine Zukunft darin haben soll, mit einem bisschen künstlich begrenzten Internet aufgewertet zu werden, sind Videodienste — auch hochwertige — über das Internet beinahe überall auf der Welt bereits viel und gern genutzte Realität.
Selbst eine Website wie YouTube ist nur in der Bundesrepublik Deutschland künstlich verkrüppelt worden, während alles Fernsehen und Internet in einem Atemzug nennt. Es ist völlig hinreichend, wenn bei der Aufnahme eines privaten Videos im Hintergrund ein Radio mitläuft, so dass ein paar Klangfetzen des wertvollen „geistigen Eigentums“ dabei reproduziert werden, damit das Video auf YouTube so aussieht:
Wer schon einmal in Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, Polen, Dänemark, Italien oder sonstwo die Muße gefunden hat, YouTube zu benutzen, wird erstaunt festgestellt haben, dass dort nicht nur richtige Musikvideos verfügbar sind, sondern dass sie sogar von den Musikverlegern selbst eingestellt werden — mit Möglichkeit zum Kauf eines Musikstückes oder eines Tonträgers. Und für ein genau so großes Erstaunen sorgt es beim künstlich volldeppert gehaltenen Deutschen, wenn er sehen muss, dass man beinahe überall im Ausland auf viele Fernsehproduktionen über YouTube zugreifen kann, und zwar direkt von den Produzenten eingestellt. Niemand scheint dort ein besonderes Problem darin zu sehen. Das ist nur in der Bundesrepublik Deutschland ein Problem, einer Deutschen, Demokratischen Republik, in der eine kleine Clique von Besitzenden allen anderen Menschen genau sagt, was sie wirklich wollen und was sie wirklich brauchen — und diese stümperhafte Volkserziehung im Zweifelsfall mit Lobbypolitik und geldherrschaftlicher Gewalt durchsetzt.
Ich bin ein ganz schlechter Hellseher. Aber trotzdem habe ich eine sehr deutliche Ahnung, wie einer der Trends auf der IFA 2012 heißen könnte. Und auf der IFA 2013, 2014, 2015… bis die Menschen in Deutschland endlich damit beginnen, das Internet nicht als eine zweite Glotze, sondern als ihren, von ihnen mitgestalteten Raum wahrzunehmen und es den Buchhaltern, Ausbeutern, Lobbyisten, Kaninchenzüchtern und Gartenzwergfreunden aus den Händen zu reißen. Zur Not mit Gewalt, wenn es nicht anders geht. Leider sind gerade Menschen in Deutschland so gestrickt, dass sie bei ihrem Bürgeramt einen Antrag stellen möchten, bevor sie für ihre eigenen Daseinsrechte eintreten, und deshalb wird das nicht so schnell gehen. Denn ein freier Fluss von Informationen und ein offener Austausch im Internet — das ist in der Bundesrepublik Deutschland weder von der Wirtschaft, noch von einer korrumpierten und von Wirtschaftsvertretern belaberten und bestochenen Politik erwünscht.
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